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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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antwortete nicht.
    »Mike? Und hast du nicht gehört, was ich gesagt habe – gute Neuigkeiten …«
    Schweigen. Er drehte sich immer noch nicht um. Irgendetwas an der Stille im Raum und der Art dieses Schweigens zog Karin den Magen zusammen.
    »Was ist los?«
    Schließlich schaute er sich langsam um, sah sie nicht sofort direkt an, sondern auf den Koffer, in den er ein Hemd gelegt hatte. Dann richtete er sich auf. Ein großer Mann. Graumeliertes, dickes Haar. Eine große Nase. Gutaussehend, dachte sie, immer noch gutaussehend.
    »Ich dachte, du würdest erst später zurückkommen. Ich dachte, du würdest vielleicht zu Cat fahren.«
    »Und? Ich meine, ja, hätte sein können, aber ihr Anrufbeantworter lief – vermutlich ruht sie sich aus. Die Geburt steht kurz bevor.«
    »Das hatte ich vergessen.«
    »Warum spielt es eine Rolle, wann ich nach Hause komme?«
    Er klimperte mit ein paar Münzen in der Hosentasche, sah sie weiterhin nicht an.
    Dann sagte er: »Könntest du Tee kochen?«
    »In Ordnung.«
    »Ich muss mit dir reden.«
    Dann wieder Stille. Diese schreckliche, ohrenbetäubende Stille.
    Sie rannte aus dem Schlafzimmer.
     
    Es war nach sieben, als sie Cat erneut anrief, nachdem Mike gegangen war. Karin fühlte sich so zerschlagen und mitgenommen und entsetzt, wie sie gewesen wäre, wenn man ihr gesagt hätte, ihr Krebs sei zurückgekehrt, sei weiter fortgeschritten und inoperabel, so verletzt wie noch nie in ihrem Leben. Nicht viel war gesprochen worden, wenn man bedachte, dass es drei Stunden gedauert und Mike sie verlassen hatte, um auf der anderen Seite des Atlantiks eine Frau zu heiraten, die zehn Jahre älter war als Karin. Sie hatten dagesessen, sich angeschaut und sich dann nicht mehr angeschaut, hatten Tee und dann Whisky getrunken; Karin hatte wenig gesagt, geweint, aufgehört zu weinen und geschwiegen. Dann war er gegangen. Wie hatte das so lange dauern können?
    »Cat Deerborn.«
    »Cat …«
    »Karin … was hast du erfahren?«
    Karin öffnete den Mund, um Cat zu sagen, dass sie weder Krebs noch einen Ehemann hatte, aber aus ihrem Mund kamen keine Worte, nur ein seltsam klagendes, wütendes Geräusch, bei dem Karin dachte, es müsse von jemand anderem stammen, einer Frau, die überhaupt nichts mit ihr zu tun hatte, einer Frau, die sie nicht kannte.
    »Komm einfach her«, sagte Cat, »egal, was es ist.«
    »Ich kann nicht …«
    »Doch, du kannst, du steigst in dein Auto und fährst her. In einer halben Stunde bist du hier.«
     
    Sie wusste nicht, wie, doch sie erreichte das Bauernhaus ohne Zwischenfälle. Cat schaute sie einen Moment lang durchdringend an, ging dann zum Kühlschrank und holte eine Flasche Wein heraus.
    »Ich darf keinen mehr, aber du hast es mit Sicherheit nötig.«
    »Nein, davon fang ich nur an zu weinen.«
    »Gut. Dann weine.« Sie reichte ihr ein großes Glas. »Die Kinder sind oben, Chris ist noch nicht zurück, es gibt Hühnerpastete, und du kannst gerne hierbleiben. Wer weiß, vielleicht setzen bei mir heute Nacht die Wehen ein, dann darfst du hier das Kommando übernehmen, und Gott helfe dir. Komm, gehen wir ins Wohnzimmer, ich zünde ein Feuer an.«
    Cat sah müde und abgespannt aus, wirkte aber ansonsten unverändert – tüchtig, fröhlich, robust, die perfekte Freundin, wie es Karin immer vorkam, genauso wie die perfekte praktische Ärztin.
    »Also … du warst bei deiner Onkologin. Geht es darum?«
    »Nein. Alles in Ordnung. Keine weiteren Anzeichen.«
    »Und …«
    »Mike hat mich verlassen.«
    »Dich verlassen? Für immer?«
    »Ja.«
    »Du hast nie irgendwas gesagt, ich wusste nicht, dass es Probleme zwischen euch gab.«
    »Himmel, Cat, denkst du, ich wusste das? Ich war in solcher Hochstimmung … Du kannst dir nicht vorstellen, wie man sich fühlt … wenn die Mammographien sauber sind, die Blutproben in Ordnung, wenn dir das gesagt wird … Das ist … buchstäblich wie die Begnadigung in der Todeszelle. Die Welt ist so gut … Und dann stand er einfach da und packte seine Sachen.«
    »Hast du ihm von den Ergebnissen erzählt?«
    »Klar. Selbstverständlich.«
    »Und?«
    »Ich weiß nicht, ob er es überhaupt wahrgenommen hat. Er sagte – ›Gut‹.«
    »Aber warum geht er dann, Himmel noch mal?«
    »Aus einer Menge Gründen, wegen vieler Dinge, die ich gar nicht mitbekommen hatte. Der Hauptgrund lebt in New York und heißt Lainey. Sie ist vierundfünfzig.«
    »Das ist ja nicht zu fassen.«
    »Nein.«
    »Wie gemein, nach Hause zu kommen und das

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