Des Abends eisige Stille
Chef. Hatten Sie übrigens einen schönen Urlaub?«
»Sehr friedlich. Ich musste ihn abbrechen … Jemand aus meiner Familie war im Krankenhaus.«
»Das tut mir leid … ist alles in Ordnung?«
»Ja. Es war meine Schwester, aber es geht ihr wieder besser.«
Nathan Coates verließ das Büro, schloss die Tür, und Simon dachte an das butterblumengelbe und weiße Zimmer mit den wehenden Vorhängen und Martha, die ihre seltsamen kleinen Laute von sich gab. Er hätte über den Abbruch seines Urlaubs verärgert sein können, aber der Gedanke kam ihm nicht.
Er schaute auf die Akten auf seinem Schreibtisch. Bagatelldelikte. Jugendgangs. Kleinkrimineller Drogenhandel. Raubüberfälle. Autodiebstahl. Ein wenig Betrug und Unterschlagung. Das war die Routinearbeit der Kriminalpolizei. Das Jahr, in dem Lafferton einen psychopathischen Serienmörder unter seiner Bevölkerung gehabt hatte, war eine Ausnahme gewesen – für jede Polizeitruppe im Land. Er starrte die Akten weiter an, ohne sie in die Hand zu nehmen. Er liebte seine Arbeit, aber was da vor ihm lag, die Routineangelegenheiten, mit denen er den größten Teil seiner Zeit verbrachte, beanspruchten ihn nicht übermäßig. Er wusste, dass er nicht ewig in diesem Provinzkaff bleiben konnte, das seine Heimatstadt war, außer er wollte Moos ansetzen, aber sein Leben in Lafferton jenseits der Arbeit war alles, was er wollte. Er lebte nicht nur für die Kriminalpolizei. Zur Hälfte war er Künstler, und der Rest von ihm war Bruder, Onkel, Sohn – in der Reihenfolge.
Wenn er sich zu einer Polizeitruppe in einer größeren Stadt versetzen ließe, was würde er verlieren? Und gab es in jedem großen Kriminaldezernat nicht ebenso viel Kleinkriminalität und Routinearbeit? Mehr, vermutlich. Der Gedanke, dass die Beförderung zum Superintendent in einer großen Stadt ständige Aufregung, schwierige Mordfälle, Detektivarbeit wie aus dem Krimi bedeuten würde, war Blödsinn, und das wusste er.
In Lafferton bekam er davon auch einiges mit. Ja, wenn er die beiden nächsten Stunden damit verbrachte, die Akten vor ihm durchzuarbeiten, könnte er mit Nathan zur Eric-Anderson-Schule fahren und dann in die Sozialsiedlungen, aus denen die Problemkinder stammten. Abgesehen von allem anderen würde er eine Menge lernen. Dort kam Nathan her, aus diesem benachteiligten Milieu, von dem er sich so mühsam und zielgerichtet freigekämpft hatte. Wenn jemand wusste, wie diese Jugendgangs funktionierten, dann war das Nathan Coates.
Simon öffnete die oberste Akte und begann zu lesen.
David
W
as machen Sie? Wo ist Mr. Forbes? … Mr. Forbes sollte mich abholen. Ich kenne Sie nicht. Ich will nicht in diesem Auto sein.
Würden Sie bitte anhalten und mich jetzt rauslassen, bitte.
Niemand hat mir gesagt, dass jemand anders mich abholen würde. Fahren wir zu meiner Schule?
Das ist nicht der Weg zu meiner Schule. Ich gehe auf die St. Francis.
Wo fahren wir hin?
Ich kenne Sie nicht. Ich will nicht in diesem Auto sein.
Bitte, können wir jetzt anhalten? Ich will nicht mit Ihnen fahren.
Warum reden Sie nicht? Warum sagen Sie überhaupt nichts?
Jemand wird Sie in meiner Straße gesehen haben, da schaut immer jemand aus dem Fenster oder geht vorbei, sie werden wissen, dass es nicht das Auto war, mit dem ich abgeholt werde. Sie werden es bald meinem Vater sagen.
Sie sollten nicht so fahren, das ist zu schnell. Ich mag nicht so schnell fahren. Bitte, könnten Sie jetzt anhalten? Ich geh zu Fuß zurück, das ist okay.
Warum haben Sie mich ins Auto gezerrt?
Wenn wir an einer Ampel halten, steige ich einfach aus.
Wir sind nicht mal in der Nähe von meiner Schule. Ich weiß nicht, wo wir sind. Wohin bringen Sie mich?
Bitte, können wir anhalten? Bitte bringen Sie mich nicht weiter weg.
Warum wollen Sie, dass ich mit Ihnen fahre?
Warum sagen Sie nichts zu mir?
Warum fahren wir hier lang? Ich darf hier nicht sein.
Bitte, könnten wir anhalten? Ich werde es niemandem erzählen, ich kann sagen, ich hätte vergessen, dass Mr. Forbes kommen würde, oder ich bin weggerannt … Ja, das ist es, wenn Sie wollen, ich kann sagen, dass ich weggelaufen bin. Dann bin ich es, der Ärger kriegt. Sie bekämen keinen Ärger. Ich werde nichts von Ihnen sagen. Kann ich ja sowieso nicht, weil ich Ihren Namen nicht weiß, und ich würde nichts über das Auto sagen. Dann würden sie nichts wissen. Warum tun Sie das nicht?
Bitte.
Bitte, tun Sie das. Ich will nicht mit Ihnen fahren.
Bitte. Ich mag nicht
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