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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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zerdrückte Banane, den Plastikteller, das Lätzchen.
    Nach dem Frühstück würde sie Martha das Nachthemd ausziehen, sie waschen, abtrocknen, frisch windeln und ankleiden. Dann würde Shirley ihr das helle Haar bürsten und zurückbinden, Martha das kleine Kästchen mit den Bändern und Klammern und Gummis zeigen, sie hineingreifen und eines »aussuchen« lassen. Danach würde sie Martha aus ihrem Zimmer schieben, den Flur entlang zum Aufzug. Es war ein strahlender Morgen. Martha würde im Wintergarten sitzen, wo ihr die Sonne das bleiche Gesicht und die Hände wärmen und das blonde Haar zum Schimmern bringen würde, und die Vögel würden zum Futterhäuschen vor dem Fenster kommen, was Martha zu freuen schien.
    Für Shirley gehörte es auch zu Marthas Babydasein, dass sie kein Gefühl für Zeit hatte, was bedeutete, sie langweilte sich nicht, wurde nie unruhig oder unzufrieden. Sie schaltete einfach ab und versank in einer Zwielichtzone in ihrem Inneren oder schlief ein. Nur ganz selten murrte sie oder stieß einen Schrei aus, und auch darin war sie wie ein Baby, wenn das Essen zu spät kam oder sie sich in die Windel gemacht hatte. Einmal hatte sie geschrien und herumgefuchtelt, und Shirley und Rosa hatten eine halbe Stunde gebraucht, bis sie gemerkt hatten, dass Marthas Sandale zu fest zugeschnallt worden war und eine Hautfalte einquetschte.
    Rosa war in der Küche, wartete darauf, dass das Teewasser kochte.
    »Morgen, Shirley.«
    »Guten Morgen, Liebes, wie läuft’s?«
    Rosa seufzte. Rosa seufzte so oft als Einleitung zu einer Antwort oder Bemerkung, dass Shirley es gar nicht mehr beachtete, wobei sie schon einmal gesagt hatte, Rosa sei wie der Hütejunge aus der Fabel, der aus Spaß »Hilfe, der Wolf kommt« ruft, und wenn sie wirklich etwas zu seufzen hätte, würde niemand sie mehr fragen, was los sei.
    »Ich werd einfach nicht wach heute Morgen, und Arthur hat schon wieder das Bett nass gemacht.«
    »Ist ja nichts Neues.« Shirley beugte sich zum Kühlschrank, um die Milch herauszunehmen.
    »Hat man schon irgendwas wegen des kleinen Jungen erfahren?«
    »Nicht, als ich um halb sechs die Nachrichten gehört habe.«
    »Wenn sie den erwischen …«
    »Oder sie.«
    »Keine Frau würde Eltern ihren kleinen Jungen wegnehmen, niemals.«
    »Myra Hindley?«
    »Das ist Jahrzehnte her.«
    »Die menschliche Natur ändert sich nicht.«
    »Ich wünschte, man würde diese Monster öffentlich erhängen wie in alten Zeiten. Dafür würde ich glatt Eintritt zahlen.«
    Shirley löffelte Breipulver in eine umfallsichere Plastikschüssel.
    »Es heißt, ihr Bruder leitet die Ermittlung.«
    »Na ja, er ist der Höchstrangige in Lafferton, da liegt das doch auf der Hand.«
    »Findest du, dass er gut aussieht?«
    »Mr. Serrailler? Da hab ich noch nie drüber nachgedacht.«
    »Natürlich hast du das.«
    »Gut, ich geb’s zu … Ja, nur seine Haare sind ein bisschen zu hell für einen Mann. Bei Martha sieht das gut aus.«
    »Traurig, die ganze Sache.«
    »Warum?«
    »Wenn sie normal wäre, dann würde das richtig attraktiv aussehen.«
    »Rosa, so was darfst du nicht sagen, nicht hier drin und auch sonst nicht.«
    »Stimmt aber doch.«
    »Mach Platz, ich muss an den Kühlschrank. Für zwei ist die Küche echt zu klein.«
    »Versteh mich nicht falsch, sie tut mir nur leid, die arme Kleine.«
    »Braucht sie nicht. Ich glaube, sie ist glücklich.«
    »Woher willst du das wissen? Red doch keinen Quatsch.«
    »Ich weiß es einfach. Wie ein Baby glücklich ist. Na ja, sie kennt es nicht anders … wie ein Baby. Wenn sie … wie wir gewesen wäre …«
    »Normal.«
    »Wenn sie einen Unfall gehabt hätte wie Arthur, dann könnte sie sich vielleicht erinnern … Aber was man nicht hat …«
    »… vermisst man auch nicht. Wirklich, am besten wär es für sie gewesen, wenn sie bei dieser letzten Lungenentzündung gestorben wäre.«
    »Wie schrecklich, so etwas zu sagen.«
    »Das finde ich nicht, es ist die Wahrheit, und du weißt das. Sie wäre einfach hinübergedämmert, hätte nichts davon gemerkt, und das wär’s dann gewesen. Für sie gibt es keine Besserung, sie wird in diesem Zustand alt werden.«
    »Na und?«
    »Was soll es dann? Du glaubst an Gott und den Himmel und all das, würdest du nicht sagen, es wäre besser für sie? Auf jeden Fall besser für ihre arme Familie.«
    »Die sind in Ordnung … Sie können es sich leisten, sie hier gut pflegen zu lassen. Sie kommen und besuchen sie. Dr. Serrailler war erst gestern

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