Des Abends eisige Stille
auch nicht … nicht mehr als die meisten.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ist doch klar.«
»Sagen Sie es mir.«
»Ein Kind wird vermisst, was furchtbar ist. Man will nicht, dass das passiert. Kinder sind nie sicher.«
»Nein.« Nathan schaute den Mann an. Er war unrasiert, er stank, seine Haare waren schmierig und seine Hände lagen auf dem Terrarium, als wäre es ein schützender Talisman. Seine Augen waren unstet. Nur war Nathan beigebracht worden, genau das nicht zu denken … Augen waren Augen, und wenn man sie anders beschrieb als blau oder braun, bekam man zu hören, das sei unzulässig. Doch Nathan wusste, wann er unstete Augen vor sich hatte – sie waren eben unstet.
»Sie interessieren sich also nicht für David Angus?«
»Nicht besonders. Hab ich doch gesagt.«
»Warum haben Sie dann …« Nathan verstummte abrupt.
»Was? Warum hab ich was?«
Das Zeitungsfoto des vermissten Jungen war weg. Am Abend zuvor hatte Nathan es durch die halboffene Tür gesehen, ganz deutlich, an die Wand über das Terrarium geklebt. Er stand auf.
»Gehen Sie aus dem Weg.«
»Was soll das? Lass mich in Ruhe.«
»Aus dem Weg.«
Parker zögerte, schob sich dann zur Seite, die Hände immer noch auf dem Terrarium. Hitze stieg davon auf, und es stank ekelhaft. Nathan zog es vor, lieber nicht so genau hineinzuschauen.
»Was hat hier gehangen?«
Er berührte die leicht klebrigen Stellen an der Wand.
»Nichts.«
»Nichts? Keine Notiz … oder vielleicht ein Plakat? Eine Zeitungsseite?«
»Ja … nein. Da hing eine Notiz.«
»Was für eine?«
»Wegen der Schlangen. Fütterungszeiten.«
»Sie brauchen dazu einen Merkzettel?«
»Nein. Der war für … jemand anderen. Jemand hat sie gefüttert, als ich nicht da war.«
»Wer?«
»Ein Kumpel.«
»Sie haben einen Kumpel? Wie heißt er?«
»Das brauch ich nicht zu sagen.«
»Doch. Wenn Sie mir den Namen nicht nennen, damit ich bei ihm nachfragen kann, könnte ich glauben, Sie hätten sich das ausgedacht. Ich könnte glauben, Sie hätten hier eine Zeitungsseite hingeklebt … mit dem Bild von David Angus.«
»Tja, das wär ein Irrtum.«
Nathan drehte sich rasch um und war mit zwei Schritten bei einem Tretmülleimer, dessen Deckel halb aufstand. Das Pedal funktionierte nicht. Er wollte den Deckel nicht mit der Hand anfassen, aber beim Antippen mit dem Schuh klappte er ganz auf.
»Leeren Sie den aus, ja? Kommt mir da drin nicht allzu sauber vor.«
»Mach’s doch selber. Was willst du? Dafür brauchst du einen Durchsuchungsbefehl.«
»Um bis zum Boden Ihres dreckigen Mülleimers zu kommen? Ich glaube kaum.«
»Wenn du meinen Müll durchwühlen willst, nur zu. Ich rühr keinen Finger.«
»Ich nehme an, es wäre Zeitverschwendung, nach Gummihandschuhen zu fragen?«
»Genau.«
»Zeitungspapier?«
»Unter der Spüle.«
Nathan Coates brauchte drei Minuten, um das einzige Zeitungspapier, das er finden konnte, eine uralte Ausgabe des Windhundteils der
Racing Post
, auf dem Boden auszubreiten und den Inhalt des Mülleimers draufzukippen. Die zusammengepappte Masse aus Eierschalen, Haaren, Teebeuteln und dreckigem Rindenmulch, der vermutlich aus den Terrarien stammte, bildete einen durchweichten Klumpen. Aber keine Zeitung, nicht einmal eine zerrissene. Kein Plakat von David Angus.
»Na gut«, sagte Nathan. »Für den Augenblick.«
»Wo willst du hin?«
»An die frische Luft.«
»Du gehst erst, wenn die da draußen weg sind.«
Nathan grinste, drehte sich um und verließ rasch das Haus. Nie hatte die Luft der Dulcie-Siedlung besser gerochen.
Nur zwei Frauen waren noch da, ein paar Meter vom Haus entfernt, und tuschelten. Der Streifenwagen parkte nach wie vor am Randstein. Nathan beugte sich zum Fenster hinab.
»Die kommen zurück, sobald ihr wegfahrt.«
Der Uniformierte zuckte die Schultern.
»Dann ruft er wieder an.«
»Wir nehmen es, wie’s kommt. Haben Sie was gefunden?«
Jetzt war es an Nathan, die Schultern zu zucken. Als er zu seinem Auto ging, drehte sich eine der Frauen um. »Das ist ja dieser hochnäsige kleine Wichser Nathan Coates. Wundert mich, dass du dich hier noch blicken lässt, dachte, wir wären alle unter deinem Niveau.«
Bleib ruhig, befahl sich Nathan. Achte nicht darauf. »Morgen, Michelle«, sagte er, knallte die Autotür zu und verschwand so schnell wie möglich aus der Dulcie-Siedlung.
David
I
ch habe Hunger. Haben Sie irgendwas zu essen für mich? Sie sollten mir was zu essen geben.
Ich bin auch ein bisschen
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