Des Abends eisige Stille
Mitherausgeber eines Online-Journals für Augenheilkunde.
Meriel legte einen frischen Filter in die Kaffeemaschine und hängte einen Beutel Pfefferminztee in einen Becher für Karin, die ihre Antikrebsdiät immer noch strikt einhielt. Karin saß am Küchentisch und betrachtete die Pläne für die Hospizerweiterung.
»Leiden Sie darunter«, fragte Meriel abrupt, als sie die Becher abstellte, »keine Kinder zu haben?«
Karin war sprachlos. Seit Mike sie verlassen hatte, war sie in ihren Gefühlen hin- und hergerissen; einerseits war sie dankbar dafür, dass es ihnen trotz jahrelanger Versuche, Kinder zu bekommen, doch nicht gelungen war – denn diese Kinder würden jetzt durch sein Verhalten leiden müssen. Dann wieder glaubte sie, Kinder hätten vielleicht dazu geführt, dass Mike nie diese Frau in New York kennengelernt hätte, nie fortgegangen wäre.
»Ja und nein … Momentan wohl eher nein als ja. Aber wenn ich Cat und den kleinen Felix besuche, wird es wahrscheinlich ein sehr starkes Ja sein.«
»Das ist das Schwerste. Ein Kind zu verlieren, ein Kind sterben zu sehen, bevor man selbst stirbt. Es ist verkehrt herum, und man fühlt sich schuldig. Man hat versagt, verstehen Sie. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so wegen Martha empfinden würde … Vielleicht fühle ich es stärker, als es bei einem der anderen gewesen wäre … Sie war so verletzlich. Sie war unschuldig und hilflos und verletzlich.«
Meriel trank von ihrem Kaffee. Karin bemerkte die bleichen Flecken unter Meriels Augen, als hätte da jemand Daumenabdrücke hinterlassen.
»Der medizinische Fortschritt bedeutet, dass wir alle den Tod so viel weniger hinnehmen wollen. Und wir müssen ihn hinnehmen. Wir alle.«
»Ich glaube nicht, dass ich ihn hinnehme, sonst hätte ich das letzte Jahr über nicht so hart dagegen angekämpft.«
»Nein. Aber Sie wären vor Ihrer Zeit gestorben. Und Martha? Wann war
ihre
Zeit zu sterben? Vermutlich bei der Geburt. Vor der Geburt. Die Menschen beklagen Fehlgeburten, allerdings sind sie fast immer das Richtige. Fast immer.« Sie starrte in die Küche, nicht aus dem Fenster, sondern nur ins Leere.
Karin zog die Pläne zu sich heran. »Wann soll ich am Samstag dort sein?« Sie wollte die Atmosphäre durchbrechen, wollte die normale Meriel zurück, voller Energie, die alles organisierte, regelte und in die Hand nahm, nicht diese traurige, geschlagene Frau. Karin fühlte sich wie ein Kind, dessen scheinbar unbesiegbare Mutter plötzlich Schwäche zeigt.
»Ja.« Meriel sah unbestimmt auf die Pläne vor ihr. »Also, wir öffnen um zehn. Das Modell muss aufgebaut werden und die Schautafeln … Leider können wir nicht schon am Abend davor in den Saal, er wird gebraucht.«
»Um halb neun?«
»Ginge das?«
»Ja, kein Problem, ich stehe ziemlich früh auf. Haben Sie Leute für Kuchen und Getränke, oder soll ich Ihnen auch dabei helfen?«
Eine Tür öffnete und schloss sich, und im Flur waren Schritte zu hören.
»Nein, um Gottes willen, es gibt genug Kuchenbäcker und Kaffeeausschenker … Nein, ich brauche Sie an meiner Seite. Wir müssen mit jedem reden, der hereinkommt, sie davon überzeugen, wie dringend diese Erweiterung für die Tagesbetreuung gebraucht wird. Mein Ziel ist, am Ende des Samstags genügend Zusagen und Interessenten beisammenzuhaben, um sicher zu sein, dass wir mit der Umsetzung der Pläne beginnen können. Gott weiß, dass es genügend Geld in Lafferton gibt, wir müssen nur danach graben. Haben Sie das Modell schon gesehen? Ich finde immer, Pläne und Zeichnungen geben keinen richtigen Eindruck eines Gebäudes, aber ein Modell lässt es lebendig werden.« Sie beugte sich über den Tisch. »Karin, es ist so wichtig … Wir müssen dafür sorgen, dass es klappt!«
Das war wieder die alte Meriel Serrailler, enthusiastisch und entschlossen, mit leuchtenden Augen. Karin entspannte sich. Die Ordnung der Dinge war wiederhergestellt.
Die Tür öffnete sich, und Richard Serrailler stakste in die Küche. »Der Kaffee noch heiß?«
»Ich hab ihn vor fünf Minuten gemacht.«
»Gut.« Er öffnete den Schrank, nahm eine Tasse und eine Untertasse heraus. Dann, als er sich Kaffee einschenken wollte, wandte er sich an Karin. »Es war sehr freundlich von Ihnen, gestern zu kommen. Wir wissen das sehr zu schätzen.«
Karin stammelte eine Antwort. Richard Serrailler hatte kaum je mit ihr gesprochen, und niemals, ohne kurz angebunden zu sein. Wie seltsam es war, dass der Tod nicht nur Menschen
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