Des Drachens grauer Atem
ihnen herum und stillte den schlimmsten Hunger damit. Als sie beim ersten Feld ankam, fragte sie die Leute, ob sie Bansammu gesehen hätten. Niemand wusste, dass er überhaupt schon aus Chiengmai zurück war. Satchanasai lief weiter. Die Entfernungen zwischen den Feldern waren groß, und als sie auf dem letzten Feld ankam, war Mittag vorbei. Bansammu war nirgendwo zu finden. Da setzte sich das Mädchen abseits des Feldes auf einen Felsbrocken. Sie grübelte. Wo war Bansammu? Hier gab es keine Antwort auf diese Frage.
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Stadt im Schatten
Wilkers wunderte sich, wie still Bangkok war. Er hatte sich eine Stunde vor Sonnenaufgang wecken lassen, eine Zeit, zu der im Restaurant des „Asia" noch nichts serviert wurde. Das störte ihn nicht. Er pflegte so früh ohnehin nicht viel zu essen und begnügte sich mit einer Rolle Keks, die er noch in seinem Gepäck hatte. Unweit des Hotels entdeckte er ein Taxi mit einem verschlafenen Fahrer, der aber hellwach wurde, als er merkte, dass dieser „Farang", der Fremde, schon eine Rundfahrt durch die Stadt machen wollte. Sie handelten einen vertretbaren Preis aus, und dann fuhr der Mann den Gast durch die breiten, neuen Straßen, vorbei an den Banken und Hotels, den vielstöckigen Verwaltungsgebäuden und den dazwischen seltsam verloren wirkenden Tempeln und Pagoden. Er fuhr ihn in die Gegend, in der sich die Klongs erhalten hatten, das Gewirr der Kanäle mit ihren Booten, die gleichermaßen als Wohnstätte dienten wie als Verkaufsstand oder Restaurant. Leo Wilkers sah diese ziemlich übel riechenden Überbleibsel aus der Vergangenheit der Stadt zum ersten Mal, und er begriff, weshalb sie zur Attraktion für ausländische Touristen gemacht wurden. Was der Fremde für die letzten Reste einer romantischen Epoche hielt, war nichts anderes als ein Ausdruck von Zurückgebliebenheit und Armut. Aber auf den Klongs ließen sich mit der Kamera Bilder einfangen, die man zu Hause als Beweise dafür vorzeigen konnte, dass man sich im urwüchsigen, echten Asien bewegt hatte.
Um die Zeit, als Wilkers an den Klongs ankam, trafen auch die ersten Angler ein. Auf den Booten regte sich das Leben. Es war, als begänne es nach einem alten Ritual mit dem Aufgang der Sonne. Frauen und Männer wuschen sich in dem trüben, von Abfällen und Fäkalien durchsetzten Wasser. Die ersten Boote legten ab, um Bananen zu fahren, um Gemüse und Gewürze anzubieten. Kinder tauchten ihre Füße ins Wasser, und Hunde stillten an den seichten Stellen ihren Durst. Kochfeuer glommen auf, der morgendliche Reis wurde zubereitet.
Mehr als zwei Jahrhunderte alt war dieses Bangkok der Armen, für die es wenig Chancen gab, an Land zu leben. Doch die Armut hatte für den Fremden einen eigenartigen Glanz, der ihr den anklagenden Akzent nahm. Sie roch nach Schlamm und dem Rauch der Holzfeuer, nach den Blüten, die sich die jungen Bootfahrerinnen ins Haar steckten, nach angebratenem rotem Pfeffer und Fisch. Der Professor fragte sich, ob man einmal jenen Leuten dafür, dass sie sich auf den Klongs für die Reisenden zur Schau stellten, würde Geld zahlen müssen. Er lächelte ungläubig.
Dieses Land besaß viele natürliche Reichtümer. Wenn es ihm gelang, sich aus der Stellung eines strategischen Brückenkopfes der Vereinigten Staaten zu lösen, wenn es sein Kräfte mobilisierte und seine Schätze wohlüberlegt nutzte, statt sich mit Dollars dafür abspeisen zu lassen, dass es ganze Armeen und Luftflotten der Amerikaner beherbergte sowie einen großen Teil ihrer Kriegsmarine, dann würde niemand mehr sein Leben auf diesem trüben Wasser fristen müssen. Touristen würden das vielleicht bedauerlich finden. Eine Kaufhalle, in der Thai-Frauen ihre Einkäufe machten, würde ihnen nicht das malerische Gewimmel ersetzen, das sich um die mit Lebensmitteln beladenen Boote auf den Klongs entwickelte, sobald es Tag wurde. Und doch, dachte Wilkers, ist dies wohl nur das Gesicht der Hauptstadt. Es wird im Inneren des Landes viel wichtigere Probleme zu lösen geben, ehe man darangehen könnte, die Klongs zuzuschütten.
Er ließ sich weiterfahren, am Wat Arun vorbei, dem „Tempel der Morgenröte", einem der Wahrzeichen Bangkoks, über den Menam, wo er den Wat Po sah und den Wat Phra Keo, neben dem sich der Königspalast erhob. Er schmunzelte nachsichtig, als der Fahrer ihm auf der Phetchaburi Road zuraunte, dass es hier die besten Mädchen gäbe, viel bessere als in den Bars der Pat Pong Road. Sie kämen aus Chiengmai oder aus Pasang im
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