Des Drachens grauer Atem
Warren. Wie mochte das zusammenhängen? Steckte Warren hinter der Verhaftung? Das war allerdings möglich, denn durch den Verkauf war niemand geschädigt worden außer ihm.
Lo Wen grübelte noch, als der Zug in Bangkok einfuhr. Er fand keine Erklärung. Der Polizist brachte Lo Wen ins Zentralgefängnis, in eine große Zelle mit einem Dutzend anderer Inhaftierter. Der Dorfvorsteher grübelte weiter. Zu essen bekam er nichts. Die anderen in der Zelle schliefen oder spielten Karten. Wenn der Posten die Klappe an der Stahltür öffnete, mussten sie aufstehen. Der Tag verstrich. Am Abend brachte der Wärter Gemüsesuppe. Lo Wen löffelte sie, ohne darauf zu achten, wie sie schmeckte. Er fuhr hoch, als mitten in der Nacht der Schlüssel im Schloss knirschte und der Wärter ihn aufrief.
Der alte Mann aus Muong Nan kannte das Gebäude nicht, in das man ihn führte. Er konnte auch das Schild nicht lesen, auf dem stand, dass hier die Niederlassung des Büros für industrielle Kooperation war. Er musste in der Halle warten, während der eine seiner beiden Bewacher im Fahrstuhl nach oben fuhr. Er kam zurück und holte den anderen mit Lo Wen in ein Zimmer, in dem es Teppiche gab, schwere Möbel und einen sehr schönen Schreibtisch, mehrere Fernsehapparate, von denen Lo Wen nicht wusste, was es mit ihnen auf sich hatte, Telefone und zwei gekreuzt an der Wand angebrachte amerikanische Flaggen. Die erkannte Lo Wen.
Er hatte sich kaum richtig in dem Zimmer umgesehen, der eine der Polizisten war noch damit beschäftigt, seine Handschellen zu öffnen, als Mister Warren durch eine mit Leder gepolsterte Tür eintrat.
„Mister Warren", rief Lo Wen impulsiv aus und legte die Hände, die jetzt frei waren, auf der Brust zum Gruß zusammen. „Den Göttern sei Dank!"
Warren musterte ihn kühl, bevor er ihm die Hand reichte. Er wandte sich an die Polizisten: „Danke, meine Herren. Ich bitte Sie, in der Halle zu warten."
Lo Wen folgte erleichtert der Aufforderung, sich in einen der Sessel zu setzen. Er tastete über das glatte Kunstleder und ließ sich ganz vorsichtig auf die Vorderkante nieder, bis Warren ihn ermunterte: „Machen Sie es sich nur bequem, wir werden eine Weile brauchen, bis wir miteinander fertig sind."
„Danke", stammelte Lo Wen. Er war eingeschüchtert, denn m was er seit der Unterhaltung mit dem Polizisten im Zug nicht so recht hatte glauben wollen, erwies sich nun als wahr. Er beschloss, es von vornherein mit der Bitte um Verzeihung für die von ihm begangene Verfehlung zu versuchen, doch zunächst fragte er: „Sir, ich weiß nicht, was die Polizei mit mir vorhat. Werde ich wieder zurück ins Gefängnis müssen? Oder können Sie mir helfen?"
Warren äußerte sich dazu nicht. Er setzte sich schweigend hinter seinen Schreibtisch. Er konnte mit Lo Wen in der Landessprache reden, wenigstens beherrschte er sie so weit, dass er sich unmissverständlich ausdrücken konnte. Wenn er auch in der letzten Zeit wenig Übung gehabt hatte, fand er dennoch schnell wieder die richtigen Worte, ohne allerdings zu merken, dass er sie gelegentlich mit chinesischen Ausdrücken mischte, die er während seiner langen Beratertätigkeit bei den Kuomintangtruppen in Nordostburma aufgelesen hatte. Lo Wen war froh, dass er in seiner eigenen Sprache zu Mister Warren sprechen konnte, ihn störten die chinesischen Ausdrücke nicht.
„Ich würde alles für Sie tun, wenn Sie mir helfen", begann er wieder, verstummte aber, als er merkte, dass Warren nachdenklich vor sich hin blickte.
In der Tat war Warren seiner Sache nicht mehr ganz sicher. Was Lo Wens illegalen Opiumverkauf betraf, so war das leicht zu regeln. Das Opium war ohnehin beschlagnahmt worden und befand sich bereits auf dem Wege zu den Abnehmern der Agentur. In Chiengmai funktionierte das Netz offenbar sehr gut. In der Zwischenzeit hatte Warren aber begriffen, dass er in Muong Nan einiges übersehen hatte, zumindest in den letzten Monaten. Vielleicht war das nicht nur in Muong Nan so, sondern auch anderswo in den Bergen. Er hatte sich die Listen der Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände heraussuchen lassen, die die Agentur im vergangenen halben Jahr an die Bewohner jener Bergdörfer geliefert hatte, die Opium für die Agentur erzeugten oder von den Banditengruppen aus Nordburma in Zahlung nahmen. Dabei hatte er erkannt, dass dieser Zweig der Geldbeschaffung für die Agentur, der ihm und seinem kleinen Mitarbeiterstab in diesem Büro oblag, sich binnen weniger Jahre so ausgeweitet
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