Des Drachens grauer Atem
Wenn ich wieder in New York bin oder zu Hause, dann wird mir gewiss kein Mensch glauben, dass ich nur in Gesellschaft eines Maultieres tagelang durch das Land gestreift bin.
Er rollte den Schlafsack zusammen, schlug ihn in die Bodenplane ein, schnallte das Ganze wieder an den Tragegurten des Maultieres fest und brach auf. Kein heißer Tee heute morgen, kein weich gekochtes Ei, kein Toast! Ein bisschen kaltes Büchsenfleisch und Tee von gestern, danach eine Handvoll braunen Rohrzucker - und die Sonne, die den Körper angenehm durchwärmte und die Kälte der Nacht verjagte, in Minuten. Bald würde sie wieder den Schweiß auf die Haut treiben. Heute Mittag werde ich meine Unterwäsche im Fluss waschen, nahm sich Wilkers vor. In der Mittagshitze ist sie in einer halben Stunde wieder trocken. Er schmunzelte, während er das Maultier mit einem Zungenschnalzen zu erneuter Wanderung ermunterte.
Einen Tag später zog er wieder die Karte zu Rate und stellte fest, dass er am nächsten Abend in Fang sein könnte, wenn er gut vorwärts käme. Er war mit dem Maultier immer höher geklettert, seiner Schätzung nach war er jetzt auf mehr als tausend Metern angelangt. Die Erde zwischen den Felsen war von kurzen, rötlichen Gräsern bewachsen. Das Maultier knabberte sie, und es schien satt zu werden. Nur das Wasser wurde knapper. Aber Wilkers besaß einen Vorrat in seinen Flaschen, und für das Tier hatte er einen Gummibehälter gefüllt. Also würde er bis Fang kommen, ohne Schwierigkeiten zu haben. Nur die Nacht würde kälter werden als die vorausgegangenen. Hier oben zwischen den Felsen wehte ein schneidender Wind. Man musste darauf achten, in der prallen Sonne nicht in Schweiß zu geraten, denn der Wind konnte im Zeitraum von Minuten die am Körper klebenden schweißnassen Kleidungsstücke in eisige Kompressen verwandeln.
Gegen Mittag rastete Wilkers auf einem Hochplateau. Er besah sich den Boden etwas genauer und stellte mit Verwunderung Spuren einer früheren Bearbeitung fest. An den Rändern waren sie am deutlichsten zu erkennen. Ja, hier war einmal ein Feld gewesen. Was mochte nur darauf gewachsen sein? Sosehr Wilkers suchte, er fand zwar eine Menge vertrockneter Halme, deren Wurzeln verfault waren, aber er vermochte nicht zu sagen, um welche Pflanze es sich handelte. Offenbar war der Boden nie umgepflügt worden. Jetzt hatte er sich wieder so weit gekräftigt, dass er saftiges Gras trug. Stunden später, als Wilkers auf ein zweites, ähnlich beschaffenes Feld stieß, kam ihm plötzlich der Gedanke, dass es sich um Flächen handeln könnte, auf denen einmal Mohn angebaut worden war.
Die Gegend, durch die er zog, veränderte sich kaum, felsige Berge wechselten mit kleinen, grünen Hochtälern, die einander aufs Haar glichen. Einzig der billige Kompass, den Wilkers in Chiengmai erstanden hatte, ließ ihn den Weg einigermaßen richtig bestimmen. Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, als der Professor nach einem geeigneten Platz für die Nacht Ausschau hielt, sah er weiße Blüten, die sich im Bergwind wiegten, auf langen, fleischigen Stängeln. Er sah die Kelche in den schräg einfallenden Strahlen der Sonne aufleuchten: Er hatte das erste blühende Mohnfeld gefunden! Wenn es hier in den Hochtälern Mohn gab, konnten die Siedlungen der Leute, die ihn bauten, nicht weit sein.
Am nächsten Morgen betrachtete Wilkers den Mohn genauer und erkannte, dass er noch nicht ausgereift war. Ein Teil der Halme trug erst Knospen. Der Professor hätte gern nach der Ortschaft gesucht, zu der dieses Feld gehörte, aber er entschloss sich doch, weiter zu ziehen. Auf einem steinigen Pfad kletterte er der nächsten Bergkette entgegen. Er war verblüfft, als er gegen Mittag ihren Kamm erreicht hatte und voraus blickte. Da lag eine große Siedlung von Steinhäusern und Pfahlbauten, die Dächer aus hartem Berggras trugen. Es war Fang. Höhenzüge umschlossen es wie unüberwindbare Wälle. Im Zentrum der Siedlung gab es mehrstöckige Steingebäude, dort waren auch Reste alter Befestigungsanlagen erhalten geblieben, bröckelige Erdaufwürfe, mit Unkraut bewachsen.
Fang war die älteste Siedlung des Volkes der Thai, sie hatte sich immer wieder gegen Einfälle der Burmesen verteidigen müssen. Nachdem Wilkers den schwierigen Abstieg bewältigt hatte, konnte er den Ort aus der Nähe anschauen, der ein gepflegtes, beinahe idyllisches Bild bot. Wie überall in den kleineren Siedlungen liefen zwar Hühner und Hunde auf den Straßen herum, hier und da
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