Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
falsch halten würde, würden deren Beweggründe letztlich doch die Kursbewegung bestimmen. Es ist also angesichts des Faktors
»Unsicherheit« völlig rational, einfach der Mehrheit oder dem Trend zu folgen. So entsteht ein Herdentrieb. So kann man zumindest
kurzfristig sicher sein, nichts zu verlieren. Das Problem besteht jedoch darin, dass die Urteile der Mehrheit schwanken. Wer
immer nur dem Trend folgt, gehört per se nicht zu den Ersten, die das Neue erkennen. Wer wiederum den Anschluss verliert oder
nicht schnell genug reagiert, gehört zu den Verlierern. Man steigt zu spät bei einem Kursanstieg ein und bei einem Verfall
der Kurse auch zu spät aus. Im ersten Fall entgehen uns Gewinne und im zweiten müssen wir möglicherweise sogar Verluste hinnehmen.
Verändern sich Trends, schlägt die Stunde der Einzelgänger. Wem es gelingt, frühzeitig einen künftigen Trend einzuschätzen,
kann im günstigen Fall horrende Gewinne einfahren. Diese Trendsetter können Wertpapiere noch billig erwerben, bevor sich –
als Folge einer Welle positiver Einschätzungen – die Kurse deutlich erhöhen. Im umgekehrten Fall können Trendsetter Papiere
verkaufen, bevor die Mehrzahl der Anleger zu ähnlich negativen Urteilen gelangt wie sie selbst und die Kurse merklich fallen.
Wem es gelingt, eine solche Vorreiterrolle einzunehmen, der kann meist mit einem doppelten Erfolg rechnen. Er wird einen schönen
materiellen Gewinn einfahren und in der Finanzwelt bald als Guru gelten, dessen Voraussagen fortan als höhere Weisheiten bewertet
werden. Mit diesem Status lässt sich zusätzlich Geld verdienen, wenn der Guru seine Informationen nunmehr exklusiv an glaubensbereite
Anleger verkauft. Diese Anhänger sind zutiefst überzeugt, dass diese Informationen bares Geld wert sind. Schließlich werden
sie dank der goldenen Tipps schneller künftige Trends erkennen und so entsprechend |85| höhere Gewinne erzielen. Dieser paradiesische Zustand hält bis zum ersten großen Irrtum an. Schätzt der Guru irgendwann einen
künftigen Trend falsch ein – was angesichts der fundamentalen Unsicherheit relativ wahrscheinlich ist –, wird es mit seinem
schönen Status bald vorbei sein und seine Anhänger werden ihn mit Schimpf und Schande verjagen. Der Guru ist tot und es lebe
der neue Guru, der den neuen Trend richtig vorausgesagt hat.
Solche Konstellationen schreien förmlich nach Manipulation, oder? Und das geht relativ einfach. Man muss als Guru nur Informationen
in die Welt setzen, die glaubwürdig erscheinen, und sich zuvor mit genau jenen Wertpapieren eingedeckt haben, deren Kurs von
diesen Informationen profitiert. Lässt ein Guru (manchmal sind es auch nach Absprache gleich mehrere) verlauten, dass ein
Papier seiner Meinung nach unterbewertet ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Kurs tatsächlich steigt, weil viele Anleger,
die selber über kein sicheres Wissen verfügen, diesen Urteilen einfach glauben.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, dass man dieses Verhalten nicht als das Ergebnis von Denkfaulheit oder unzureichender
Recherche verstehen sollte. Wenn es keine berechenbaren Unsicherheiten gibt, ist der Glaube an diejenigen, die es vermeintlich
oder auch tatsächlich aus irgendwelchen Gründen besser wissen, völlig rational. Kurzfristig lohnt es sich sogar. Der vorausgesagte
Kursanstieg tritt ja tatsächlich ein, sodass sich der Kauf dieser Papiere wirklich gelohnt hat – am meisten wahrscheinlich
für jene, die die Informationen in die Welt gesetzt haben. Es ist allerdings fraglich, wie lange ein solcher Kursanstieg vorhält.
Ist er nur sehr kurzfristiger Natur, gefährdet das selbstverständlich den Gurustatus des Informanten. Es gibt folglich keinen
Freibrief für Manipulationsversuche. Ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit muss vorhanden sein.
Was ich hier am Beispiel eines einfachen Wertpapiers aufgezeigt habe, dessen Verkäufer und Käufer prinzipiell den gleichen
Informationsstand haben, gilt erst recht für komplexere Finanzmarktpapiere. Dann tritt zur allgemeinen Unsicherheit noch das
Problem asymmetrischer Information hinzu. In diesem Fall verfügen die Anbieter |86| eines Papiers über mehr Informationen als die Nachfrager. Das war zum Beispiel bei den strukturierten Wertpapieren der Fall,
mit denen teilweise hochriskante Hypothekarkredite in den USA weiterverkauft wurden und die als einer der Gründe für die Finanzmarktkrise
angesehen werden. In
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