Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
hinter dem Rest der Gesellschaft zurückbleiben.
Selbst die Mittelschicht erleidet in vielen Ländern, vor allem aber in Deutschland, einen Verlust an Kaufkraft. Die gleiche
Politik sorgt auf der anderen Seite für Anlegernöte jener Menschen, deren Einkommen zuvor stark zugenommen hat – was im Grunde
ja eigentlich eine positive Nachricht ist. Die Einkommen aber stiegen so stark an, dass diese Menschen verzweifelt nach Möglichkeiten
suchten, ihr überschüssiges Kapital möglichst rentabel anzulegen. Dass dabei das Risikobewusstsein abnimmt, ist gut nachvollziehbar.
Die Ungleichheit der Einkommen spiegelt sich auch in den globalen Handelsungleichgewichten wider. Dort, wo wie in Deutschland,
Japan und China die Löhne im Verhältnis zur Produktivität massiv unter Druck geraten, gewinnen die Unternehmen immer mehr
an Konkurrenzfähigkeit und können sich auf den Weltmärkten bestens behaupten. Die Exporte gehen steil nach oben; die Importe
lahmen. So wird immer mehr volkswirtschaftliches Kapital angehäuft, das wiederum global nach Anlage sucht.
Auf der anderen Seite stehen jene Volkswirtschaften wie die USA oder auch Großbritannien. Dort sind die Löhne in breiten Schichten |108| zwar auch unter Druck geraten. Man kann aber die drohenden Konsumnöte durch einen erleichterten Zugang zu den Kreditmärkten
zunächst überspielen. Das hält die Wirtschaft unter Dampf. Die Wachstumsperformance dieser Volkswirtschaften kann sich spätestens
seit den 1990er Jahren sehen lassen und auch die Beschäftigung steigt. Das mindert für sich genommen zwar den Druck auf die
Löhne – ohne die Ungleichheit zu reduzieren –, zeigt aber dafür andere negative Folgen. Auf den globalen Märkten verlieren
diese Volkswirtschaften an Wettbewerbsfähigkeit. Die Aufwärtstendenzen lassen die Löhne dort im Verhältnis zur Produktivität
stärker steigen als in jenen Volkswirtschaften, wo wie in Deutschland und Japan das Wachstum gering und damit die Arbeitslosigkeit
relativ hoch ist. 14* Mithin sind hier die Exporte vergleichsweise schwach, während die Importe aufgrund des durch Kredite beflügelten Verbrauchs steil nach oben gehen. Diese Volkswirtschaften verschuldeten sich
also immer mehr beim Rest der Welt.
All dies geschieht vor dem Hintergrund von Finanzmärkten, die um einiges fragiler sind, als viele denken – diese Tatsache
wurde einfach nicht gesehen. Und selbst wenn es meine eigene Zunft betrifft, muss ich sagen: Hier hat vor allem die vorherrschende
Ökonomie versagt. Ihr Verständnis von Märkten als in sich stabilen Systemen, die stets eine effiziente Nutzung von Ressourcen
gewährleisten und immer zu optimalen Ergebnissen für eine Volkswirtschaft führen, kann mit Fug und Recht als naiv bis gefährlich
bezeichnet werden. Die aus dieser Sichtweise abgeleiteten Forderungen nach weitgehender Deregulierung auch von Finanzmärkten,
die von der Politik in vielen Ländern umgesetzt wurde, haben die Krise in meinen Augen erst möglich gemacht.
Und es ging ja auch lange gut. Der Finanzierungsbedarf der schuldengeplagten Konsumenten bis hin zu ganzen Volkswirtschaften
konnte eben gerade mithilfe der neu entwickelten Finanzmarktpapiere |109| geleistet werden. Die meisten Ökonomen werteten das als Ausdruck gleichgewichtiger Marktentscheidungen, die keinen Anlass
zur Sorge gäben. In Wahrheit war es nur der Kamm einer Euphoriewelle, die sich irgendwann an den harten Realitäten eines unsicheren
Marktes brechen musste. Danach kam die Panik. Sie machte deutlich, dass Märkte instabil sind und entgegen aller grauen Theorie
nicht systematisch unter begrenzten Risiken kalkulierbar sind. So trieb eine Politik der Ungleichheit unter Mithilfe eines
falschen, zu optimistischen Marktverständnisses die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds. Der Reichtum machte Beute – auf
Rechnung aller.
|110| Am Rande des Abgrunds
Dum spiro spero
(Solange ich atme, hoffe ich)
Cicero
Eine Krise nimmt ihren Lauf
»Wie ein Riss in der Mauer«, so überschrieb die Evangelische Kirche in Deutschland eine Schrift zur globalen Finanzkrise.
Ich finde dieses Bild sehr treffend. Die Krise kam anfänglich nicht mit Pauken und Trompeten, sondern langsam und schleichend.
Von vielen wurde sie zunächst nicht oder nur en passant bemerkt; viele hielten sie für ein mehr oder minder lokales Ereignis.
Das ist heute nur noch schwer vorstellbar.
Am Anfang der Krise stand der Vertrauensverlust der Märkte in
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