Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Mittel- und
Unterschichten kam. Allerdings kam diese Nachfrageschwäche nicht zum Tragen. Ein wesentlicher Teil der Deregulierung der Finanzmärkte
in den USA bestand darin, den Niedrigverdienern den Zugang zu Krediten zu erleichtern. Dadurch waren sie in der Lage, ihre
Konsumwünsche trotz der Einkommensmisere zu erfüllen; allerdings um den Preis einer deutlich erhöhten privaten Verschuldung.
Das berühmteste Beispiel für den verführerischen Pfad in eine hohe Verschuldung ist der Markt für Hypothekarkredite: Hier
gab es plötzlich abenteuerlich anmutende Formen von Darlehen. So konnten die Zins- und die Tilgungszahlungen für die ersten
zwei Jahre der Laufzeit eines Darlehens völlig ausgesetzt werden. Erst im dritten Jahr wurde damit begonnen. Aber das Ganze
hatte natürlich einen fatalen Haken: Selbstverständlich wurden die eigentlich in der Zwischenzeit fälligen Zinsen zu der ursprünglichen
Kreditsumme hinzuaddiert, sodass die Schuldner ab dem dritten Jahr Zinsen und Tilgung für merklich erhöhte Kreditsummen zu
zahlen hatten. Sämtliche Belastungen erhöhten sich und wurden in die Zukunft verlagert. Im Grunde wurden die Probleme nur
verschleppt.
Wenn das Einkommen oder der Wert des Hauses entsprechend stiegen, wäre dies an sich noch kein Problem. Dann wäre die Kreditbelastung
in Relation zum Einkommen gleich geblieben, der Wert des Hauses wäre im Vergleich zum Kredit unverändert und zusätzliche Sicherheiten
wären nicht erforderlich. Die Schuldner und auch die Gläubiger setzten also auf steigende Hauspreise. Blieben die erhofften
Einkommenssteigerungen hingegen aus oder stieg der Wert der Häuser entgegen den Erwartungen nicht, standen den Schuldnern
erhöhte Belastungen bevor. Sie müssten in diesem Fall einen höheren Anteil ihres Einkommen einsetzen, um den Kredit zu bedienen,
oder zusätzliche Sicherheiten bereitstellen, weil der Kredit mit dem fallenden Wert des Hauses nicht mehr hinreichend abgesichert
wäre. Das aber konnte nicht ewig gut gehen. Sobald die Häuserpreise fielen, brach das Kartenhaus aus unbegründeten Euphorien
zusammen und |102| schlug in Panik um, die das Vertrauen in die Stabilität der Finanzmärkte weltweit zerstörte. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Die durch Deregulierung erzeugte Unsicherheit breitete sich also von Finanzanlegern aus höheren Einkommensschichten auf jene
mit niedrigeren Einkommen aus, die fleißig Kredite aufgenommen hatten. Der zunächst deutlich erkennbare Vorteil dieses Phänomens
bestand darin, dass das Konsumniveau in den USA sehr hoch war. Anders als in Deutschland stieg trotz des Drucks auf die mittleren
und niedrigeren Einkommen und trotz der kräftigen Aufwärtsdynamik der hohen Einkommen die Sparquote nicht. Im Gegenteil, sie
sank sogar. Die unheilvolle Entwicklung, dass sich die mittleren und niedrigeren Einkommensgruppen immer mehr verschuldeten,
glich die verwehrte Spartätigkeit der höheren Einkommen mehr als aus. Aber auch deren Konsum war im Vergleich zu entsprechenden
Einkommen in Deutschland sehr hoch. Das alles summierte sich zu einer relativ dynamischen Binnenkonjunktur mit Wachstumsraten,
von denen Wirtschaftspolitiker in Deutschland nur träumen konnten. Deshalb hatten die USA und auch Großbritannien, wo eine
ähnliche Entwicklung eingesetzt hatte, einen trügerischen Vorbildcharakter für die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Denn
ein Großteil des blendenden Wachstums basierte auf Schulden, deren Begleichung mehr als zweifelhaft war.
Im Nachhinein stellt sich die Frage, wieso die Risiken, die sich aus der Kombination aus Unsicherheit und Umverteilung ergaben,
eigentlich von niemandem wahrgenommen wurden. 13* 34 Man war sogar der Meinung, der Finanzsektor sei dank der eingeführten Innovationen stabiler geworden. Das lag aber vor allem
an dem nahezu blinden Vertrauen in die Stabilität und Effizienz der Märkte im Allgemeinen und an der Unkenntnis der Wirkungsweise
von Finanzmärkten im Besonderen. Im Rückblick ist ein Zusammenhang ganz klar: Die Konstellation aus Unsicherheit und Ungleichheit
und die |103| unterschiedlichen nationalen Reaktionen darauf zogen auch weltwirtschaftlich gravierende Konsequenzen nach sich, die ihrerseits
auch zum Gesamtbild der Krise gehören. 35
Die gefährlichen Konsequenzen für die Weltwirtschaft
Ich möchte mich deshalb etwas näher mit den weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten in den Außenhandelsbilanzen, speziell
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