Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Bereich zu steigern
versucht hatte. Nach den ersten alarmierenden Berichten aus dem Bankensektor folgte Panikattacke auf Panikattacke, wie die
Zinsdifferenz zeigt. Ihren Höhepunkt erreichten Angst und Misstrauen, als das Bankhaus Lehman Brothers zusammenbrach.
Aber es ging nahtlos weiter. Als Nächstes gerieten die Garanten von Kreditausfallversicherungen in Schwierigkeiten. Ich bin
immer wieder überrascht, wenn ich sehe, wie sträflich Risiken auf den Finanzmärkten vernachlässigt worden waren. Die Deregulierungswelle
hatte es ermöglicht, dass selbst Dritte, die an einem Kredit unbeteiligt |115| waren, Wertpapiere emittierten, die das Risiko eines Kredits zum Inhalt hatten – die sogenannten Credit Default Swaps (CDS).
Wird ein Kredit nicht bedient, erhält der Käufer eines solchen Papiers eine zuvor vereinbarte Zahlung vom Verkäufer. Zuvor
hat sich der Verkäufer die Emission einer solchen Garantie vom Käufer mit einer Prämie vergüten lassen. Deren Höhe richtet
sich nach dem Ausmaß des vermuteten Risikos. Für diejenigen, die unmittelbar an einem Kredit beteiligt sind, ist eine solche
Absicherung zumindest noch nachvollziehbar – wenn auch ein vermindertes Risiko anders erreicht werden kann, zum Beispiel,
indem Kredite breit gestreut werden.
Da CDS-Papiere aber frei handelbar sind, dienen sie auch als Spekulationsobjekt. Das heißt im Klartext: Völlig Unbeteiligte
wetten auf den Ausgang eines Kreditgeschäfts, wie sie auf den Ausgang eines Fußballspiels wetten würden. Wenn nun plötzlich
in hohem Maße Kredite ausfallen, wie es mit dem Einsetzen der Subprime-Krise geschah, drohen all jenen, die CDS-Papiere angeboten
haben, hohe Zahlungen. Das wiederum gefährdet ihre Bonität, und die Unsicherheit steigt weiter. Da die Empfänger der Zahlungen
nicht zwangsläufig diejenigen waren, die tatsächlich unter dem Kreditausfall zu leiden hatten, verpuffte auch der eigentlich
zu erwartende Stabilisierungseffekt dieser Versicherungen. Außerdem gab es Profiteure der Krise, die aber nichts mit dem eigentlichen
Kreditgeschäft zu tun hatten. Und gleichzeitig stieg mit der Krise und dem nunmehr offenkundig gewordenen hohen Risiko solcher
Kredite der Preis für CDS-Papiere. Das galt nicht nur für Subprime-Kredite direkt, sondern auch für strukturierte Papiere,
die tatsächlich oder vermeintlich solche Kredite enthielten. In jedem Fall erhöhten sich auch hierdurch die Kreditkosten.
Mit diesem Effekt waren nun weitere Segmente des Finanzmarktes berührt.
Und das war noch nicht das Ende der Fahnenstange. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2008 war es kaum noch möglich, Kredite
zu einigermaßen guten Konditionen zu erhalten – wenn es überhaupt dazu kam. Das galt gleichermaßen für Banken und Nicht-Banken,
darunter auch ganz normale Unternehmen. Damit wurde nun eine |116| zweite Welle in Gang gesetzt, die die gesamte Wirtschaft, nicht nur den Finanzsektor, erfasste und an den Rand des wirtschaftlichen
Abgrunds spülte. Hohe Kreditkosten waren der Infektionskanal, der die Krise in die Realwirtschaft trug. Eine moderne, sehr
arbeitsteilige Wirtschaft ist schließlich immer wieder auf Kredite angewiesen. Das gilt vor allem für die Finanzierung von
Investitionen. Aber auch der internationale Handel wird während der Transportphase häufig über Zwischenkredite finanziert.
Massive Störungen in der Kreditvergabe haben somit weitreichende Konsequenzen für das gesamte Wirtschaftsgeschehen. Bleiben
die Kredite aus oder werden sie zu teuer, kommt die Wirtschaft rasch und abrupt zum Stillstand. Genau das ist in der zweiten
Jahreshälfte 2008 geschehen.
Der Absturz war in seiner Heftigkeit ohne Beispiel. Mehrere Generationen von Ökonomen hatten so etwas noch nie erlebt. Sie
waren auf die Schilderungen der nur noch wenigen betagten Überlebenden der Großen Depression um 1929 herum angewiesen. Die
große Panik und Verunsicherung an den Finanzmärkten, die auf die Euphorie nach dem Jahrhundertwechsel folgte, hatte die gesamte
Weltwirtschaft in die Tiefe gerissen. Der Riss in der Mauer der Weltwirtschaft hatte sich allmählich zu einer Bedrohung für
die gesamte Statik der Weltwirtschaft ausgeweitet.
Von Deflationsspiralen und ihren Folgen
Der Ablauf jener dramatischen Monate im Jahr 2008 war, wie der belgische Ökonom Paul de Grauwe analysierte, von vier Deflationsspiralen
geprägt. 36 Das sind Abwärtsspiralen, in denen ökonomische Größen gleichsam
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