Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Aufarbeitung der Krise, vor allem eine intellektuelle Aufarbeitung und
eine gründliche Beseitigung ihrer Ursachen. Aber vielleicht ist das gerade politisch gewollt. Denn wenn Unsicherheit der Märkte
und Ungleichheit der Einkommen und Vermögen zum Thema werden, stehen bestimmte Interessen auf dem Spiel. Sich mit diesen Interessen
auseinanderzusetzen ist für so manchen Politiker wohl zu riskant.
Nein, die Krise war 2010 nicht vorbei. Sie war nur weitergewandert. Nachdem sie ihre verheerenden Spuren zunächst im Finanzsektor
und dann in der Realwirtschaft hinterlassen hatte, war sie nun bei den Staaten angekommen.
Schuldenkrise oder Schulden der Krise
Spätestens im Frühjahr 2010 erreichte die Krise ihr drittes Stadium. Sie wurde zu einer Krise der Staatsfinanzen. Tatsächlich
war zu diesem Zeitpunkt die öffentliche Verschuldung fast überall deutlich angestiegen, wie Abbildung 16 zeigt. Die Steuerausfälle
im Zuge der Finanzkrise und der nachfolgenden Konjunkturkrise rissen bereits große Löcher in die öffentlichen Haushalte. Die
Einnahmen der Staaten brachen ein. Auf der Ausgabenseite schlugen in der Folge mehr und mehr die verschiedenen Rettungsprogramme
erst für den Finanzsektor, dann für die Konjunktur zu Buche. Die öffentlichen Haushalte gerieten in die Zange aus sinkenden
Einnahmen und steigenden Ausgaben. Sieht man nur diese Zahlen, dann scheinen sich die Befürchtungen der Gegner von Konjunkturprogrammen
zu bewahrheiten: Konjunkturprogramme würden nur dazu führen, dass der Staat auf einem Berg von Schulden sitzen bliebe. Wen
wundert es also, dass in Deutschland, sofort nachdem die akute Krise vorüber war, eine Debatte über den vermeintlich verschwenderischen
Staat losbrach? Die Fakten interessierten wieder einmal kaum, alle stürzten sich auf das hohe Defizit und den erhöhten Schuldenstand
und beklagten die Misere.
|161| Das Interesse an der Aufklärung der Ursachen war begrenzt. Lieber debattierte man doch darüber, wie man den Einfluss des Staates
eindämmen könnte, der anscheinend jede wirtschaftliche Aktivität erdrückte. Selbstverständlich haben die Rettungsprogramme
die Staatsschulden erhöht. Aber was wäre ohne sie geschehen?
Eine differenziertere Argumentation geht so: Der Staat habe sich ja schon vor der Krise massiv verschuldet, man könne also
die hohe Staatsverschuldung nicht einfach als Krisenfolge abtun. Das Argument ist zunächst einmal korrekt, denn schon vor
der Krise lag die Schuldenquote des Staates in Deutschland bei gut 60 Prozent des BIP; also über den 60 Prozent, die nach
dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zulässig sind.
Die Ursache dafür ist aber nicht der verschwenderische Umgang mit Steuergeldern. So sind die Staatsausgaben in Deutschland
zwischen 1999, dem Beginn der Währungsunion, und 2007, dem Jahr vor der Krise, im Durchschnitt pro Jahr lediglich um 1,3 Prozent
gestiegen. 51 Unter Berücksichtigung der Preissteigerungen ist dies sogar ein Rückgang von 0,3 Prozent pro Jahr. Verschwendung sieht anders
aus. Allerdings war der Staat an anderer Stelle tatsächlich zu großzügig. Die wahre Ursache der Staatsverschuldung ist nämlich
die gleiche wie die für die deutliche Zunahme der Ungleichheit: Es sind die massiven Steuersenkungen. Und so schließt sich
der Kreis. Wachsende Staatsverschuldung und wachsende Ungleichheit sind Teil des gleichen Syndroms: Es geht um eine neoliberale
Politik der Staatsskepsis. Was aber ist so gefährlich an der Staatverschuldung?
Über die scheinbare und über die wahre Gefährlichkeit von Staatsschulden
Die Befürchtungen der Bundesregierung, der deutsche Staat könne sich durch Konjunkturprogramme überschulden, basiert auf Erfahrungen
aus den 1970er Jahren und der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung. In beiden Phasen stieg die Staatsverschuldung in
der |162| Tat steil an. Seit den 1980er Jahren hat sich als Teil der neuklassischen makroökonomischen Gegenrevolution gegen den Keynesianismus
das Postulat ausgeglichener Staatshaushalte in der Ökonomie durchgesetzt. Allenfalls kurzfristig, bei unerwarteten konjunkturellen
Einbrüchen und in absoluten Notlagen, darf sich der Staat verschulden. In einem Land wie Deutschland, dessen Bevölkerung immer
älter wird, sollte er sogar Überschüsse anhäufen, um künftige Ansprüche an die Altersvorsorge abdecken zu können.
Teilweise wird sogar die Ansicht des amerikanischen Ökonomen Robert Barro
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