Des Sieges bittere Tränen
erstaunt die Augenbrauen, als Inspektor Labois sie vor dem Zeitungsstand ansprach. Sie suchte aus einem Stapel Zeitschriften ein Modeheft heraus und war nicht einen Augenblick erschrocken, von einem Polizisten gebeten zu werden, ein paar Schritte zur Seite zu treten und einige Fragen zu beantworten.
Fallersfeld verbeugte sich knapp, ganz alte Schule, und bewunderte dieses Ebenmaß und die Vollkommenheit weiblicher Schönheit.
»Nur ein paar einfache Fragen, Madame«, sagte Labois. »Es ist mir peinlich, aber wenn ich Ihnen den Grund erkläre …«
»Fallersfeld.« Der Baron stellte sich vor. Donnerwetter, ist das eine Frau, dachte er begeistert. Lächerlich, sie zu verhören. Jetzt übertreibt Labois seinen Diensteifer. Das sieht doch jeder, daß die Dame zur ersten Gesellschaft gehört.
»Gräfin Elise de Béricourt«, antwortete sie. Sie hatte eine angenehme, warme Stimme. Ihre großen braunen Augen blickten fragend von Labois zu Fallersfeld. Augen wie Laska, dachte der Baron. Dieser Vergleich ärgerte ihn sofort. Augen wie eine Madonna von Raffael, berichtigte er sich. Das gefiel ihm besser.
»Gräfin«, ergriff Fallersfeld das Wort, »eine ganz dumme Geschichte. Sie kennen Horst Hartung? Verzeihen Sie, ich weiß, eine solch direkte Frage ist ungehörig, aber man hat Hartung gestern abend in Ihrer Gesellschaft gesehen, und seit gestern abend ist er spurlos verschwunden.«
»Nein!« Ein wohltemperierter Ausruf, nicht zu laut, aber auch nicht zu unterkühlt. Die Augen wurden noch größer, die schöngeschwungenen Lippen zitterten leicht. »Verschwunden? Wieso denn?«
»Monsieur Hartung ist verschollen.« Labois zog das Kinn ein und blinzelte wie ein Kurzsichtiger. »Es gibt eine Reihe von Zeugen, die Sie, Gräfin, und Monsieur Hartung hier in der Halle gesehen haben. Von da an verliert sich jede Spur.«
»Und nun soll ich ihnen sagen, wo er ist?« Sie lachte amüsiert. Fallersfeld bewunderte ihr weißes Gebiß. Eine Idiotie, sie zu fragen. »Bedaure, Messieurs, aber ich kann Ihnen nur spärliche Auskunft geben. Ich habe Monsieur Hartung um ein Autogramm gebeten. Wir kennen uns vom Turnier im vorigen Jahr her und haben noch ein paar Minuten miteinander geplaudert. Und dann ging er.«
»Er ging? Wohin?« Labois blinzelte stärker.
»Aus dem Hotel. Er wollte nach Saint-Cloud, zu seinem Pferd. Er sagte wörtlich – lassen Sie mich nachdenken, ja: ›Ich fahre noch einmal bei Laska vorbei. Wollen Sie mitkommen?‹ Ich lehnte ab, ich wollte mich hier mit Bekannten treffen. Mit dem Marquis de Lafourge und seiner Frau, Sie kennen ihn, Inspektor?«
Labois nickte gemessen. Lafourge war ein Alibi, das man nicht nachzuprüfen brauchte. Wer es trotzdem wagte, beging beruflichen Selbstmord.
»Und Hartung fuhr nach Saint-Cloud?«
»Ich nehme es an. Er verließ das Hotel. Das war alles, was ich sah.«
»Er ist aber nie in Saint-Cloud angekommen.« Fallersfeld war blaß geworden. Die Gräfin de Béricourt zeigte Ansätze von Besorgnis. Ihre Finger zerknüllten die Modezeitschrift. Ein Brillant, groß wie eine Haselnuß, blitzte auf.
»Das ist ja schrecklich«, sagte sie. »Befürchten Sie ein Verbrechen? Mon Dieu, wenn jemand in Paris verschwindet, wie soll man den jemals wiederfinden?«
Labois sah Fallersfeld herausfordernd an. »Meine Rede, Gräfin. Es gibt da nur drei Möglichkeiten: Der Mann taucht von allein wieder auf, der Mann wird gefunden, meistens ist er dann tot, oder der Mann bleibt verschwunden.«
»So einfach möchte ich die Welt auch einmal sehen«, sagte Fallersfeld betroffen. »Wenn das alles ist, was die Polizei kann!«
»O Baron, wir können mancherlei.« Labois blickte kurz auf seine Uhr. »Vierundzwanzig Stunden nach dem Zeitpunkt des Verschwindens kann ich eine umfassende Suchaktion starten. Rundfunk, Fernsehen, Pressebilder, Steckbriefe, Plakate, Belohnungen – irgendein Hinweis kann dann zu einer heißen Spur führen. Kann!« Labois räusperte sich. »Im Augenblick können wir nur abwarten. Stellen Sie sich vor, wir setzen den ganzen Fahndungsapparat in Bewegung, und plötzlich ist Monsieur Hartung wieder da, aufgetaucht aus irgendeinem Bett!«
Fallersfeld war konsterniert. Er schielte zur Gräfin de Béricourt. »Labois, Sie sind in Gesellschaft einer Dame!«
»Pardon, aber eine französische Gräfin wird für diese Art von Verschwinden das gleiche Verständnis haben wie jede Dame in Frankreich.« Labois winkte mit einer großen Geste. Einige Männer, die bisher nicht aufgefallen waren,
Weitere Kostenlose Bücher