Des Teufels Alternative
Maasmündung. Voss setzte sich unverzüglich mit Bonn in Verbindung. Eine halbe Stunde später teilte er dem holländischen Ministerpräsidenten mit, er werde ihn selbstverständlich nach Hoek van Holland begleiten, wie es die Terroristen verlangt hatten. Im übrigen sei die Bundesregierung selbstverständlich bereit, in jeder denkbaren Form Hilfe zu leisten.
Das niederländische Außenministerium informierte höflichkeitshalber die Botschafter aller betroffenen Staaten: Schweden, unter dessen Flagge die Freya fuhr und woher der größte Teil der Besatzung kam; Norwegen, Finnland und Dänemark, die ebenfalls Leute an Bord des Tankers hatten; die USA, weil vier Männer in der Mannschaft Amerikaner skandinavischer Abstammung waren und zwei Staatsbürgerschaften besaßen; Großbritannien als Anliegerstaat und weil Schiff und Ladung bei Lloyds in London versichert waren; Belgien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland als Anrainerstaaten.
In neun europäischen Hauptstädten liefen die Telefone in den Ministerien, Behörden und Zeitungsredaktionen, bei Versicherungen, Schiffsmaklern und Privatleuten heiß. Für Tausende, die in staatlichen Dienststellen, Banken, Reedereien und Versicherungen, bei den Streitkräften und der Presse arbeiteten, versank die Aussicht auf ein ruhiges Wochenende an diesem Freitagvormittag in der glatten blauen Nordsee, auf der im warmen Frühlingssonnenschein eine Millionen-Tonnen-Bombe lag: die Freya.
Harry Wennerström hatte die Hälfte der Strecke nach Hoek van Holland zurückgelegt und Schiedam erreicht, wo auf dem Flughafen sein Privatjet abgestellt war. Der Reeder war gerade im Begriff, aus dem Ort hinauszufahren, um auf die Autobahn nach Vlaardingen zu kommen, als ihm eine Idee durch den Kopf schoß. Er griff nach dem Hörer des Autotelefons und rief seine Chefsekretärin im Hilton an, die noch immer damit beschäftigt war, die Anrufe der Reporter entgegenzunehmen. Als Wennerström beim dritten Versuch durchkam, gab er ihr detaillierte Anweisungen für die beiden Piloten seiner Maschine.
»Außerdem«, fügte er hinzu, »brauche ich den Namen und die Telefonnummer des Polizeichefs von Alesund. Ja, Alesund in Norwegen. Sobald Sie die Nummer haben, rufen Sie ihn an und sagen ihm, er soll in Reichweite des Telefons bleiben und meinen Anruf erwarten.«
Lloyd’s Shipping Intelligence war kurz nach 10 Uhr benachrichtigt worden. Ein britischer Trockengutfrachter warum 9 Uhr in die Maasmündung eingelaufen, als die Freya Maas Control gerufen hatte. Der Funkoffizier hatte das Gespräch mitstenografiert und seinem Kapitän vorgelesen. Wenige Minuten später diktierte er es dem Agenten ihrer Reederei in Rotterdam, der es an die Londoner Zentrale weitergab. Die Reederei hatte Lloyds in Colchester, Essex, informiert.
Von dort aus wurde einer der Vorstandsvorsitzenden der 25 unabhängigen Versicherungsgesellschaften benachrichtigt. Das Konsortium, das die 170 Millionen Dollar teure Freya versicherte, mußte groß sein; ebensogroß wie die Firmengruppe, die mit Clint Blake in Texas einen Versicherungsvertrag über die eine Million Tonnen Rohöl geschlossen hatte. Aber die riesigen Werte, die der Tanker und seine Ladung darstellten, waren gering im Vergleich zu der Haftpflichtversicherung der Freya.
Kurz vor Mittag starrte der Vorstandsvorsitzende von Lloyds in seinem Büro hoch über der Londoner City die Zahlen auf seinem Notizblock an.
»Im schlimmsten Fall müssen wir mit einer Milliarde Dollar Verlust rechnen«, sagte er zu seinem Vorstandsassistenten. »Wer sind diese Leute eigentlich, verdammt noch mal?«
Der Anführer dieser Leute befand sich im Auge des Tornados. Er saß in dem Wohnraum unter der Brücke der Freya dem bärtigen norwegischen Kapitän gegenüber. Die Sonne schien warm durch die Fenster, deren Vorhänge geöffnet waren und den Blick über das stille Vorderdeck freigaben, das sich 400 Meter weit bis zur Back erstreckte. Am Schanzkleid im Bug war die kleine Gestalt eines Mannes zu erkennen, der die glitzernde blaue See vor dem Schiff beobachtete. So weit das Auge reichte, lag das Meer glatt da und wurde nur gelegentlich von einer flauen Brise gekräuselt.
Die Temperatur im Inneren der Kabine war gleichbleibend angenehm, denn die Klimaanlage hatte zu kühlen begonnen, als die Sonne heißer durch das Isolierglas schien.
Seit ihrem Gespräch am Morgen hatten die beiden Männer die meiste Zeit geschwiegen. Das Warten begann allmählich an den Nerven zu
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