Des Teufels Alternative
zerren. Beide Männer wußten, daß in den Staaten diesseits und jenseits des Kanals hektische Betriebsamkeit herrschte; man würde versuchen, möglichst genau festzustellen, was nachts an Bord der Freya passiert war, und überlegen, wie man nun vorgehen solle.
Larsen wußte, daß niemand etwas unternehmen würde, bevor die Terroristen nicht ihre Forderungen bekanntgegeben hatten. Der Anführer war recht geschickt vorgegangen, indem er dafür gesorgt hatte, daß die Behörden vor einem Rätsel standen. Er hatte Larsen dazu gezwungen, das Gespräch mit Maas Control zu führen, damit seine eigene Stimme nicht auf einem Tonband festgehalten und analysiert werden konnte und vielleicht einen Hinweis auf seine Herkunft oder Identität gab. Der Terrorist, der sich Swoboda nannte, blieb für die Männer, die er herausgefordert hatte, ohne Gestalt. Das würde ihr Selbstvertrauen schwächen.
Außerdem hatte er dafür gesorgt, daß der Presse reichlich Zeit blieb, von der Besetzung des Schiffes zu erfahren; er ließ sie das mögliche Ausmaß der Katastrophe, die durch die Sprengung der Freya hervorgerufen werden konnte, genau abschätzen. Dadurch wurden die Regierungen bereits unter Druck gesetzt, noch bevor die Forderungen der Terroristen bekannt waren. Wurden sie dann bekanntgegeben, würden sie im Vergleich zu der Drohung bescheiden wirken. Die zuständigen Leute würden unter noch stärkeren Druck geraten und kaum Zeit haben, die Forderungen zu prüfen.
Larsen, der die Forderungen bereits kannte, konnte sich nicht vorstellen, daß die Behörden sie ablehnen würden. Die Alternative war zu schrecklich. Hätte Swoboda lediglich einen Industriellen entführt, wie deutsche Terroristen Hanns-Martin Schleyer verschleppt hatten, oder einen Politiker gekidnappt, wie die Roten Brigaden Aldo Moro, hätte er seine Freunde vielleicht nicht freipressen können. Aber er hatte es in der Hand, fünf Küsten, ein Meer, dreißig Menschenleben und einen beladenen Supertanker zu vernichten.
»Warum sind diese beiden Männer so wichtig für Sie?« fragte Larsen plötzlich.
»Sie sind Freunde.«
»Nein«, widersprach Larsen. »Ich erinnere mich gut daran, im Januar gelesen zu haben, daß es sich um zwei Juden aus Lwow handelt, die keine Ausreisegenehmigung erhalten und deshalb eine sowjetische Verkehrsmaschine entführt und zur Landung in Westberlin gezwungen haben. Sollen die Ihren Volksaufstand anführen?«
»Das geht Sie nichts an!« schnitt der Terrorist das Gespräch ab. »Es ist fünf vor zwölf, Captain. Wir gehen auf die Brücke zurück.«
Auf der Brücke hatte sich nichts verändert, wenn man davon absah, daß in einer Ecke zusammengerollt ein Terrorist schlief, der noch immer seine MP umklammert hielt. Sowohl er wie der andere, der vor den Radar- und Sonarschirmen Wache hielt, waren maskiert.
Swoboda fragte ihn etwas in der Sprache, von der Larsen jetzt wußte, daß es Ukrainisch war. Der Mann schüttelte den Kopf und antwortete in der gleichen Sprache. Auf Swobodas Befehl richtete der Maskierte seine MP auf Larsen.
Swoboda trat an das Radargerät. Im Westen, Süden und Norden war das Meer im Umkreis von fünf Seemeilen frei von Schiffen. Auch im Osten war kein Blip zwischen dem Ankerplatz der Freya und der holländischen Küste zu erkennen. Der Terroristenanführer trat auf die Brückennock hinaus, drehte sich um und brüllte eine Frage in Richtung des Schornsteins. Larsen hörte den Mann von seinem Aussichtsplatz antworten. Swoboda kam auf die Brücke zurück.
»Kommen Sie«, forderte er den Kapitän auf, »Ihre Zuhörer warten sicher schon. Aber keine Tricks, sonst erschieße ich einen Ihrer Seeleute.«
Larsen griff nach dem Hörer und drückte auf den Sprechknopf.
»Maas Control, hier ›Freya‹. Bitte kommen.«
Er ahnte nicht, daß dieser Anruf von mehr als 50 Dienststellen aufgenommen wurde. Fünf große Nachrichtendienste hörten mit: die amerikanische National Security Agency, der britische SIS, der französische SDECE, der deutsche BND und das sowjetische KGB. Die holländischen, belgischen und schwedischen Geheimdienste gehörten ebenfalls zu den aufmerksamen Zuhörern. Schiffsfunker, Funkamateure und Journalisten saßen an ihren Empfangsgeräten, als eine Stimme aus Hoek van Holland antwortete: »›Freya‹, hier Maas Control. Bitte kommen.«
Thor Larsen warf einen Blick auf den Text, der vor ihm lag.
»Hier ist Kapitän Thor Larsen. Ich möchte den niederländischen Ministerpräsidenten sprechen.«
Aus
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