Des Teufels Alternative
übernachte hier im Büro. Die verschärften Maßnahmen gelten bis auf weiteres. Das bedeutet, daß jetzt niemand an die beiden Insassen herankann.«
»Lassen Sie sich lieber einen Grund einfallen, aus dem Sie für kurze Zeit das Gebäude verlassen müssen«, sagte Oberst Kukuschkin. »Ich erwarte Sie in einer Stunde.« Er nannte Jahn eine Kneipe in einer nur wenige hundert Meter vom Gefängnis entfernten Straße. Jahn kannte das Lokal nicht, aber er kannte die Straße. »In einer Stunde«, wiederholte die Stimme, »sonst …« Der Russe legte auf.
In Berlin war es 20 Uhr und bereits dunkel.
Die britische Premierministerin saß in ihrer Privatwohnung im Obergeschoß der Downing Street Nr. 10 mit ihrem Ehemann beim Abendessen, als ihr ein persönlicher Anruf von Präsident Matthews angekündigt wurde. Sie hatte bereits an ihrem Schreibtisch Platz genommen, als das Gespräch durchgestellt wurde. Die beiden Regierungschefs kannten sich gut und waren schon ein dutzendmal zusammengetroffen, seit Großbritanniens erste Premierministerin ihr Amt angetreten hatte. In der privaten Unterhaltung nannten sie einander beim Vornamen, aber jetzt hielten sie sich an die förmliche Anrede, obwohl das verschlüsselt über den Atlantik gehende Telefongespräch nicht abgehört werden konnte. Es wurde jedoch, wie beide wußten, für die Archive aufgezeichnet.
Präsident Matthews berichtete von Rudins Botschaft.
»Um Himmels willen, warum tut er denn das?« fragte die Premierministerin.
»Das ist mir ein Rätsel, Ma’am«, antwortete die Stimme mit dem Südstaatenakzent. »Dafür gibt es keine Erklärung. Absolut keine. Noch zwei Dinge. Botschafter Kirow hat erklärt, falls der Inhalt von Rudins Botschaft bekannt werde, sei der Dubliner Vertrag ebenfalls hinfällig. Ich darf doch auf Ihre Diskretion zählen?«
»Selbstverständlich!« erwiderte sie. »Und das andere?«
»Ich habe versucht, Rudin über die Direktverbindung zu erreichen. Aber er ist nicht zu sprechen. Deshalb muß ich annehmen, daß er im Kreml vor Schwierigkeiten steht, über die er nicht reden kann. Dadurch bin ich, offen gestanden, in eine äußerst unangenehme Zwangslage geraten. Trotzdem bin ich fest entschlossen, den Vertrag zu retten. Er ist für die gesamte westliche Welt wichtig. Ich muß für ihn kämpfen. Ich darf nicht zulassen, daß zwei Flugzeugentführer in einem Berliner Gefängnis dieses Vertragswerk zunichte machen. Ich muß verhindern, daß ein paar Terroristen auf einem Tanker in der Nordsee eine Situation heraufbeschwören, die zwangsläufig in einen Weltkrieg mündet.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Mr. President«, stimmte die Premierministerin zu. »Was erwarten Sie von mir? Ich nehme an, daß Sie in Bonn mehr Einfluß haben als ich.«
»Darum geht es mir nicht, Ma’am. Wir können uns durchaus ein Bild davon machen, was eine Sprengung der ›Freya‹ für die europäischen Länder bedeuten würde, aber ich nehme an, daß Sie mehr Material und genauere Kenntnisse haben. Ich muß alle nur denkbaren Möglichkeiten und Konsequenzen für den Fall kennen, daß die Terroristen ihre Drohung wahrmachen.«
»Ja, natürlich«, sägte die britische Premierministerin. »Unsere Spezialisten haben sich inzwischen eingehend mit dem Schiff, seiner Ladung und den technischen Möglichkeiten zur Eindämmung einer Ölkatastrophe befaßt. Bisher ist noch nicht über die Möglichkeit einer gewaltsamen Geiselbefreiung gesprochen worden, aber darüber werden wir jetzt wohl reden müssen. Was wir bisher an Erkenntnissen und Schlußfolgerungen zusammengetragen haben, ist innerhalb einer Stunde zu Ihnen unterwegs. Noch etwas?«
»Ich habe noch eine Bitte, nur weiß ich nicht recht, wie ich sie formulieren soll«, antwortete William Matthews. »Für Rudins Verhalten muß es eine Erklärung geben – und solange wir die nicht haben, tappen wir im dunkeln. Wenn ich diese Krise meistern soll, muß ich Rudins Beweggründe kennen. Ich muß wissen, ob es ein dritte Alternative gibt. Ich möchte Sie bitten, Ihre Leute anzuweisen, die Nachtigall ein letztes Mal aktiv werden zu lassen und mir dann die neuesten Informationen zu überlassen.«
Die Premierministerin schwieg nachdenklich. Sie hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt aus Prinzip nie in Sir Nigels Dienstgeschäfte eingemischt. Im Gegensatz zu einigen ihrer Vorgänger hatte sie stets darauf verzichtet, aus purer Neugier in Geheimdienstakten zu schmökern. Sie hatte den Direktoren von SIS und MI 5 doppelt
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