Des Teufels Alternative
Ma’am. In Moskau ist es jetzt mitten in der Nacht. Die Nachtigall ist buchstäblich unerreichbar – es sei denn auf dem Weg über sorgfältig geplante Treffs. Der Versuch einer überstürzten Kontaktaufnahme kann dazu führen, daß der Agent enttarnt wird.«
»Ich kenne Ihre Regeln und weiß, daß ihre Einhaltung notwendig ist, Sir Nigel. Die Sicherheit eines schutzlosen Agenten geht unter allen Umständen vor. Aber hier handelt es sich um Angelegenheiten von allerhöchstem nationalen Interesse. Das Scheitern des Dubliner Vertrags oder die Zerstörung der ›Freya‹ würden Großbritannien und seine Bevölkerung auf das empfindlichste treffen. Ohne den Vertrag ist der Frieden gefährdet – wenn nicht sogar Jefrem Wischnajew an die Macht kommt, was vermutlich noch schlimmere Folgen hätte. Im anderen Fall wären die Verluste, die Lloyds – und durch Lloyds die gesamte britische Volkswirtschaft – durch die Sprengung der ›Freya‹ erleiden würde und die Verseuchung der Nordsee nur als eine nationale Katastrophe zu bezeichnen – ganz zu schweigen von dem Los der neunundzwanzig Seeleute. Ich will Ihnen keinen ausdrücklichen Befehl geben, Sir Nigel; ich bitte Sie nur, die eben genannten Risiken gegen die mögliche Gefährdung eines einzigen russischen Agenten abzuwägen.«
»Ma’am, ich tue, was ich kann. Das verspreche ich Ihnen«, sagte Sir Nigel und verabschiedete sich, um in sein Büro zu fahren.
Von einem Büro im Verteidigungsministerium aus telefonierte Colonel Holmes nach Poole in Dorset, wo der SBS – der Special Boat Service – sein Hauptquartier hat.
Major Simon Fallon wurde in der Offiziersmesse bei einem Bier ausfindig gemacht und an den Apparat geholt. Die beiden Marineoffiziere kannten sich gut.
»Hast du den Fall ›Freya‹ verfolgt?« fragte Holmes. Er hörte ein Lachen am anderen Ende der Leitung.
»Ich hab mir schon gedacht, daß du schließlich bei uns anrufen würdest«, sagte Fallon. »Was gibt’s denn?«
»Die Angelegenheit sieht übel aus«, berichtete Holmes. »Unter Umständen müssen die Deutschen sich die Sache anders überlegen und die beiden Kerle in Berlin doch in Haft behalten. Der Krisenstab hat vorhin wieder getagt. Den anderen sind unsere Methoden zuwider, aber möglicherweise bleibt ihnen nichts anderes übrig. Hast du dir schon was überlegt?«
»Klar«, antwortete der Major. »Ich hab den ganzen Tag an nichts anderes gedacht. Aber ich brauche ein Schiffsmodell und den Decksplan.«
»Natürlich«, stimmte Holmes zu. »Ich habe den Plan hier – und ein gutes Modell eines ähnlichen Tankers. Sieh zu, daß du deine Leute zusammentrommelst, damit sie mit vollständiger Ausrüstung bereitstehen. Ich bitte die Marine, von Portland aus Schnellboote zu entsenden und deine Leute mitsamt der Ausrüstung an Bord zu nehmen. Sobald du einen guten Mann als Verantwortlichen eingesetzt hast, nimmst du deinen Wagen und kommst nach London. Melde dich bei mir im Verteidigungsministerium.«
»In Ordnung!« antwortete Fallon. »Unsere gesamte Ausrüstung ist bereits sortiert und verpackt. Die Marine soll so schnell wie möglich kommen. Ich bin schon unterwegs!«
Als der untersetzte Major an die Bar zurückkam, wurde er mit Schweigen empfangen. Seine Offiziere wußten, daß er mit London telefoniert hatte. Wenige Minuten später alarmierten sie die Unteroffiziere und Mannschaften und vertauschten ihre Zivilkleidung, die sie in der Offiziersmesse getragen hatten, mit den schwarzen Overalls und grünen Baretten ihrer Einheit. Kurz vor Mitternacht warteten sie auf dem Kai in dem für sie abgetrennten Teil des Marinestützpunktes auf die Boote.
Über Portland Hill im Westen ging ein heller Mond auf, als die drei Schnellboote Sabre , Cutlass und Scimitar aus dem Hafen ausliefen und Kurs auf Poole nahmen. Als die Boote Fahrt gewannen, stieg ihr Bug aus den Wellen, und ihr Heck verschwand fast im schäumenden Wasser, während das Röhren ihrer Diesel über die Bucht hallte.
Der gleiche Mond beleuchtete die Autobahn in Hampshire, auf der Major Fallons Rover-Limousine nach London raste.
»Was soll ich dem Bundeskanzler erzählen, verdammt noch mal?« wollte Präsident Matthews von seinen Beratern wissen.
In Washington war es 17 Uhr. Während es in Europa schon längst Nacht war, schien hier noch die Nachmittagssonne und ließ die aufblühenden Rosenknospen vor den Terrassentüren leuchten.
»Ich glaube, daß es falsch wäre, ihm den Inhalt von Rudins Warnung mitzuteilen«, sagte
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