Des Teufels Alternative
erwischt!«
Munro starrte die toten Jungen an. Sie würden nie heiraten oder Kinder zeugen, niemals mehr tanzen oder die Wärme der Sonne oder des Weins genießen können. Der eine hielt noch immer die schwarze Stange umklammert – eine lange Wurst. Ein Stück davon ragte aus dem Mund des Toten. Er war gerade beim Frühstück gewesen. Munro drehte sich nach dem Sergeanten um.
»Ich gehöre euch nicht!« kreischte er. »Ich gehöre euch nicht, verflucht noch mal! Ich gehöre nur mir!«
Der Sergeant führte diesen Ausbruch auf die Anspannung wegen der ersten tödlichen Schüsse zurück und erstattete keine Meldung. Das war möglicherweise ein Fehler. Denn somit wurde nie aktenkundig, daß Adam Munro nicht bedingungslos, nicht hundertprozentig gehorsam war. Und es nie mehr sein würde.
Sechs Monate später überredete man Munro, in sich einen aussichtsreichen Offiziersanwärter zu sehen und den Dienst bei der Armee auf drei Jahre auszudehnen, um Reserveoffizier zu werden. Munro hatte Zypern satt und ging auf den Vorschlag ein. Er wurde nach England zurückversetzt und kam zur Offiziersausbildung nach Eaton Hall. Ein Vierteljahr später hatte er seinen Leutnantsstern.
Auf einem der zahllosen Fragebogen, die in Eaton Hall auszufüllen waren, hatte Munro angegeben, fließend Französisch und Deutsch zu sprechen. Als er daraufhin geprüft wurde, zeigte es sich, daß er nicht übertrieben hatte. Unmittelbar nach seiner Beförderung zum Leutnant wurde ihm vorgeschlagen, sich für den von den drei Teilstreitkräften gemeinsam abgehaltenen Russischkurs zu melden, der damals noch in »Klein-Rußland«, einem Ausbildungslager bei Bodmin in Cornwall, abgehalten wurde. Da er andernfalls in irgendeiner schottischen Kaserne Regimentsdienst zu leisten hatte, war Munro einverstanden. Nach sechs Monaten sprach er nicht nur fließend Russisch, sondern konnte sich buchstäblich für einen Russen ausgeben.
Obwohl das Regiment ihn mit allen Mitteln zu halten versuchte, nahm Munro im Jahre 1957 seinen Abschied, denn er hatte beschlossen, Auslandskorrespondent zu werden. Er hatte einige Reporter auf Zypern kennengelernt, und er fand diesen Job interessanter als irgendwelche Schreibtischhockerei. Mit 21 Jahren trat er in seiner Heimatstadt Edinburgh als Volontär in die Redaktion der Zeitung Die Scotsman ein; zwei Jahre später ging er nach London, wo er bei der internationalen Nachrichtenagentur Reuter arbeitete, die ihre Zentrale in der Fleet Street 85 hat. Im Sommer 1960kamen Munro seine Fremdsprachenkenntnisse erneut zustatten: Im Alter von 24 Jahren wurde er in das Westberliner Reuter-Büro versetzt, wo er als rechte Hand des inzwischen verstorbenen Alfred Klühs fungierte.
Das war der Sommer vor dem Bau der Berliner Mauer gewesen. Nach drei Monaten hatte Munro Walentina kennengelernt – die einzige Frau, die er jemals wirklich geliebt hatte …
Ein Mann setzte sich neben ihn auf die Bank und hustete. Munro schrak aus seinen Erinnerungen auf. Vor zwei Wochen hast du noch hoffnungsvolle Jungspione ausgebildet, sagte er sich, und jetzt vergißt du die einfachsten Regeln: Vor dem Treff nicht unaufmerksam werden!
Munro trug das vereinbarte Erkennungszeichen, eine Krawatte mit weißen Punkten. Trotzdem warf der Russe ihm einen unsicheren Blick zu. Er schob sich langsam eine Zigarette zwischen die Lippen, ohne den Mann neben sich aus den Augen zu lassen. Ein uralter Trick, der immer noch funktioniert: Munro griff nach seinem Feuerzeug und hielt die Flamme an das Zigarettenende.
»Ronald ist vor zwei Wochen an seinem Schreibtisch zusammengebrochen«, sagte er ruhig und gedämpft. »Wahrscheinlich Magengeschwüre. Vielleicht können Sie mir eine Auskunft geben: Ist es wahr, daß der Ostankino-Fernsehturm das höchste Bauwerk Moskaus ist?«
Der russische Offizier in Zivil stieß den Rauch aus und entspannte sich. Diese Frage war mit Lessing, den er nur als Ronald gekannt hatte, für so einen Fall vereinbart worden.
»Ja«, antwortete er. »Der Turm ist fünfhundertvierzig Meter hoch.«
Er hielt eine zusammengefaltete Zeitung in der Hand und legte sie jetzt auf die Bank zwischen sich und Munro. Der Regenmantel, den Munro auf den Knien liegen hatte, rutschte und fiel zu Boden. Munro hob ihn auf, legte ihn wieder zusammen und bedeckte damit die Zeitung. Die beiden Männer nahmen keine Notiz voneinander, während der Russe seine Zigarette rauchte. Schließlich stand er auf, trat die Kippe aus und beugte sich dabei leicht nach
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