Des Teufels Alternative
mächtigsten Männer der Welt war recht bescheiden: Wohnzimmer, Eßzimmer, Arbeitszimmer, Schlafzimmer, dazu eine Einbauküche und ein Bad, das mit Marmor ausgekleidet war. Rudin, dem jeder Luxus fremd war, lebte allein, umsorgt von einer ältlichen Haushälterin und dem allgegenwärtigen Mischa, einem schweigsamen ehemaligen Berufssoldaten. Als Iwanenko das Arbeitszimmer betrat, zu dem Mischa ihm die Tür aufhielt, sah er Wassili Petrow vor Rudins Schreibtisch sitzen. Rudin bot Iwanenko mit einer Handbewegung einen Sessel an und begann ohne lange Vorrede.
»Ich habe Sie beide hergebeten, weil sich, wie wir alle recht gut wissen, etwas zusammenbraut«, polterte er. »Ich bin alt und rauche zuviel. Vor zwei Wochen bin ich bei den Quacksalbern in Kunzewo gewesen. Sie haben mich untersucht. Jetzt wollen sie, daß ich mich weiteren Untersuchungen unterziehe.«
Petrow warf Iwanenko einen schnellen Blick zu.
Der KGB-Vorsitzende verzog keine Miene. Er wußte von dem Besuch in dieser Spezialklinik, die südwestlich von Moskau in den Wäldern lag; einer der dortigen Ärzte hielt ihn auf dem laufenden.
»Wir wissen, daß die Nachfolgefrage in der Luft hängt«, fuhr Rudin fort. »Und wir wissen – oder sollten es wissen –, daß Wischnajew darauf abzielt, mein Nachfolger zu werden.«
Er wandte sich an Iwanenko.
»Falls er mein Nachfolger wird, Juri Alexandrowitsch, was ich ihm zutraue, sind Sie erledigt. Er ist von Anfang an dagegen gewesen, daß ein Berufsgeheimdienstler den KGB-Vorsitz übernimmt. Deshalb wird er Sie durch seinen eigenen Mann, durch Kriwoi ersetzen.«
Iwanenko legte die Fingerspitzen aneinander und erwiderte Rudins Blick. Vor drei Jahren hatte Rudin mit der alten sowjetischen Tradition gebrochen, einen Parteibonzen an die Spitze des KGB zu stellen. Schelepin, Semitschastni, Andropow – sie alle waren Parteifunktionäre gewesen, die dem KGB von außen aufoktroyiert worden waren. Nur dem Profi Iwan Serow wäre es beinahe gelungen, durch ein Meer von Blut an die Spitze zu gelangen. Dann hatte Rudin unter Andropows engsten Mitarbeitern Iwanenko ausgewählt und seine Ernennung zum neuen KGB-Vorsitzenden durchgesetzt.
Das war nicht der einzige Bruch mit der Tradition gewesen. Iwanenko war für die Position des mächtigsten Polizeichefs und Oberspions der Welt verhältnismäßig jung gewesen. Außerdem hatte er vor zwanzig Jahren als Agent in Washington gearbeitet, was für die Fremdenhasser im Politbüro ein bleibender Grund zum Mißtrauen war. Er hatte im Privatleben viel für westliche Eleganz übrig. Und er sollte – aber darüber wagte niemand zu sprechen – gewisse persönliche Zweifel an der Unfehlbarkeit der Parteilinie hegen. Zumindest in Wischnajews Augen war das absolut unverzeihlich.
»Falls Wischnajew jetzt oder später an die Macht kommen sollte, sind auch Sie erledigt, Wassili Alexejewitsch«, wandte sich Rudin an Petrow. In privaten Gesprächen redete er seine beiden Schützlinge mit ihren Vornamen an, niemals aber während der Politbürositzungen.
Petrow nickte, um zu zeigen, daß er verstand, was Rudin meinte. Anatoli Kriwoi und er hatten gemeinsam in der Abteilung Parteiorganisation des Generalsekretariats des Zentralkomitees gearbeitet. Kriwoi war älter und konnte auf mehr Dienstjahre zurückblicken. Er hatte damit gerechnet, Abteilungsleiter zu werden, aber als es den Posten zu besetzen galt, hatte Rudin sich für Petrow entschieden, der dann erwartungsgemäß ins Politbüro aufgestiegen war. In seiner Erbitterung hatte Kriwoi sich Wischnajew angeschlossen und war nicht nur Stabschef, sondern auch die rechte Hand des Parteitheoretikers geworden. Trotzdem hatte er es noch immer auf Petrow abgesehen.
Weder Iwanenko noch Petrow hatten vergessen, daß Wischnajews Vorgänger, Michail Suslow, die Mehrheit zusammengebracht hatte, die 1963 nötig gewesen war, um Chruschtschow zu stürzen. Rudin wartete, bis seine Worte sich gesetzt hatten.
»Juri, Sie wissen, daß Sie nicht mein Nachfolger werden können – nicht mit Ihrer Vergangenheit.« Iwanenko nickte; in dieser Beziehung machte er sich keine Illusionen. »Aber«, fuhr Rudin fort, »wenn Sie und Wassili zusammenarbeiten und hinter mir stehen, können Sie unser Land gemeinsam auf geradem Kurs halten. Nächstes Jahr trete ich ab, so oder so. Und wenn’s soweit ist, wünsche ich mir Wassili als Nachfolger.«
Die beiden jüngeren Männer schwiegen angespannt. Keiner von beiden konnte sich daran erinnern, daß irgendein Vorgänger
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