Des Teufels Alternative
die Art noch die Größe des Schadens. Jedenfalls jetzt noch nicht. Im Herbst dürften sie dagegen eine ziemlich gute Vorstellung davon haben. Und sie sind geldgierig, unendlich geldgierig. Ich kann die Förderraten in unseren Goldbergwerken in Sibirien und am Kolyma erhöhen, indem ich noch mehr Arbeitskräfte aus den Lagern von Mordowia hinschaffen lasse. Das Geld für solche Getreidekäufe können wir aufbringen.«
»Ich stimme Ihnen in dem einen Punkt zu«, sagte Rudin, »aber nicht in dem anderen, Genosse Iwanenko. Die Amerikaner mögen den Weizen haben, und wir das Gold, aber es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß sie diesmal Konzessionen verlangen werden.«
Bei dem Wort »Konzessionen« zuckten alle zusammen.
»Was für Konzessionen?« fragte Marschall Kerenski mißtrauisch.
»Das wird man erst bei den Verhandlungen erfahren«, antwortete Rudin, »aber wir müssen mit dieser Möglichkeit rechnen. Unter Umständen verlangen sie Zugeständnisse auf militärischem Gebiet …«
»Niemals!« brüllte Kerenski und sprang mit zornrotem Gesicht auf.
»Uns bleibt kaum eine andere Möglichkeit«, wandte Rudin ein. »Soviel ich verstanden habe, sind wir uns darüber einig, daß wir keine allgemeine Hungersnot riskieren dürfen. Sie würde die Entwicklung in der Sowjetunion und den weltweiten Vormarsch des Marxismus-Leninismus um ein Jahrzehnt zurückwerfen – wenn nicht sogar noch weiter. Wir brauchen Getreide; das steht fest. Falls die Imperialisten Zugeständnisse auf militärischem Gebiet erpressen, müssen wir uns unter Umständen damit abfinden, daß uns das um zwei bis drei Jahre zurückwirft. Sobald wir uns aber wieder erholt haben, werden wir dafür sorgen, daß wir um so größere Fortschritte machen!«
Ein allgemeines zustimmendes Murmeln war zu hören. Rudin war dicht davor, sich mit seiner Auffassung durchzusetzen. Da schlug Wischnajew zu. Als das Stimmengewirr abebbte, stand er langsam auf.
»Genossen, die vor uns liegenden Probleme«, begann er, »sind groß und in ihren Folgen unabsehbar. Ich schlage vor, wir sollten vorerst noch keine bindenden Schlußfolgerungen ziehen. Ich schlage vor, wir vertagen uns auf heute in zwei Wochen. In der Zwischenzeit denken wir über alles, was heute gesagt wurde, nach.«
Seine List wirkte. Er hatte Zeit gewonnen, wie Rudin insgeheim befürchtet hatte. Die Versammlung stimmte mit zehn gegen drei Stimmen dafür, sich ohne Beschluß zu vertagen.
Juri Iwanenko hatte das Gebäude verlassen und wollte eben in seine wartende Limousine steigen, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. Neben ihm stand ein hünenhafter Major der Kremlgarde in einer tadellosen maßgeschneiderten Uniform.
»Genosse Vorsitzender, der Genosse Generalsekretär möchte Sie in seinen Privaträumen sprechen«, sagte der Mann halblaut, wandte sich um, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und ging voraus durch den Korridor, der sich parallel zum Haupteingang erstreckt. Iwanenko folgte ihm. Während er dem Major in der gutsitzenden Uniformjacke, den hellbraunen Breeches und den blitzblanken Stiefeln auf den Fersen blieb, wurde ihm plötzlich bewußt, daß die Verhaftung eines Politbüromitglieds, das auf dem Strafstuhl hatte Platz nehmen müssen, durch seine eigenen KGB-Spezialtruppen vorgenommen werden würde. Offiziell wurden diese Truppen mit ihren leuchtendgrünen Schulterstreifen und Mützenbändern sowie dem Schwert-und-Schild-Abzeichen des KGB über den Mützenschirmen Grenztruppen genannt.
Aber falls er, Iwanenko, verhaftet werden sollte, würde dafür nicht das KGB zuständig sein, wie es schon vor fast 30 Jahren als nicht zuverlässig genug gegolten hatte, um Lawrenti Beria festzunehmen. Das würden diese eleganten, hochmütigen Kremlgardisten, die Prätorianer am Sitz der höchsten Staatsmacht, übernehmen. Vielleicht der selbstbewußte Major vor ihm, der sich bestimmt kein Gewissen daraus machen würde.
Sie erreichten den Privataufzug und fuhren in den zweiten Stock hinauf, wo Iwanenko in Maxim Rudins Wohnung geführt wurde.
Stalin hatte von der Außenwelt abgeschirmt mitten im Kreml gewohnt, Malenkow und Chruschtschow dagegen hatten mit dieser Gewohnheit gebrochen und sich ebenso wie die meisten ihrer Vertrauten lieber in Luxusapartments in einem von außen unscheinbaren Gebäudeblock am Ende des Kutusow-Prospekts etabliert. Auch Rudin hatte dort gelebt, war aber nach dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren in den Kreml gezogen.
Die Vierzimmerwohnung eines der
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