Des Teufels Alternative
Rykow sarkastisch.
»Nein, Genosse«, antwortete Wischnajew sanft, »wir nehmen sie uns. Ich übergebe das Wort an Marschall Kerenski. Er hat Unterlagen mitgebracht, die er uns zu prüfen bittet.«
Zwölf dicke Ordner wurden verteilt. Kerenski behielt sein Exemplar und begann daraus vorzulesen. Rudin ließ die Unterlagen ungeöffnet liegen und rauchte gelassen. Auch Iwanenko rührte die Papiere nicht an, sondern betrachtete statt dessen nachdenklich den Marschall. Rudin und er wußten seit vier Tagen, was diese Ordner enthielten. Zusammen mit Wischnajew hatte Kerenski aus dem Safe des Generalstabs den Plan Boris geholt, der nach Boris Godunow, dem großen russischen Eroberer, benannt war. Dieser Plan war inzwischen auf den neuesten Stand gebracht worden.
Und er war eindrucksvoll, wie sich bei Kerenskis zwei Stunden langem Vortrag herausstellte. Im Mai nächsten Jahres würden die üblichen Frühjahrsmanöver der Roten Armee in der DDR größer als je zuvor angelegt werden. Und diesmal würde aus dem Manöver Ernst werden. Auf einen Befehl hin würden die 30 000Panzer, Schützenpanzer, Sturmgeschütze und Amphibienfahrzeuge nach Westen vorstoßen, die Elbe überschreiten und durch die Bundesrepublik Deutschland und die Beneluxländer zu den französischen Kanalhäfen vordringen.
Als Vorauskommando würden 50 000 Fallschirmjäger über mehr als fünfzig Orten abgesetzt werden, um die wichtigsten Flughäfen und Fliegerhorste im Operationsgebiet zu besetzen. Weitere 100 000 würden mit massiver Marineunterstützung die Hauptstädte und Hauptverkehrsadern der vier skandinavischen Staaten besetzen.
Bei dem militärischen Vorstoß würden Italien und die Iberische Halbinsel ausgeklammert bleiben; die Regierungen in Rom, Madrid und Portugal, denen auch Eurokommunisten angehörten, würden von den sowjetischen Botschaftern aufgefordert werden, sich aus dem Kampf herauszuhalten, wenn sie nicht darin untergehen wollten. Innerhalb der nächsten fünf oder sechs Jahre würden diese Länder den Siegern ohnehin in den Schoß fallen. Das gleiche galt für Griechenland, die Türkei und Jugoslawien. Die Schweiz sollte umgangen, Österreich nur als Durchmarschgebiet benützt werden. Als Inseln in einem roten Meer konnten diese beiden Staaten sich ohnehin nicht mehr lange halten.
Hauptziele für Angriff und Besetzung sollten Westdeutschland, die Beneluxstaaten und Frankreich sein. Großbritannien würde zunächst durch Streiks lahmgelegt, dann durch die extreme Linke, die auf Befehl lautstark für Nichteinmischung plädieren sollte, in Aufruhr versetzt werden. London würde man warnen, daß Großbritannien von der Landkarte verschwinde, falls das britische Strike Command östlich der Elbe Atomwaffen einsetzte.
Während der gesamten Operation würde die Sowjetunion bei allen Regierungen der Welt sowie bei den Vereinten Nationen energisch einen sofortigen Waffenstillstand fordern. Sie würde behaupten, die Feindseligkeiten beschränkten sich auf Westdeutschland, seien zeitlich begrenzt und durch einen deutschen Präventivschlag auf Grund einer vermeintlichen Bedrohung Berlins ausgelöst worden – eine Behauptung, die bei den meisten Anhängern der europäischen Linken außerhalb Deutschlands Glauben finden und von ihnen weiterverbreitet werden würde.
»Und was tun die Vereinigten Staaten die ganze Zeit über?« unterbrach Petrow nach eineinhalb Stunden Kerenski, der durch diese Störung sichtlich irritiert war.
»Der Einsatz taktischer Atomwaffen über Deutschland ist nicht auszuschließen«, gab der Marschall zu, »aber dadurch werden in erster Linie Westdeutschland, Ostdeutschland und Polen zerstört, was für die Sowjetunion keinen Verlust bedeutet. Dank der Schwäche Washingtons werden weder Marschflugkörper noch Neutronenbomben eingesetzt. Die militärischen Verluste der Sowjetunion dürften im ungünstigsten Fall zwischen hunderttausend und zweihunderttausend Mann liegen. Aber das ist ein annehmbarer Prozentsatz, wenn man davon ausgeht, daß zwei Millionen Mann innerhalb der drei Teilstreitkräfte an der Operation teilnehmen werden.«
»Dauer?« fragte Iwanenko.
»Die Spitzen der vorderen motorisierten Armeen erreichen die französischen Kanalhäfen hundert Stunden nach dem Überschreiten der Elbe. Ab dann können wir uns natürlich auf einen Waffenstillstand einlassen. Die Befriedungsaktionen können trotzdem weitergehen.«
»Ist das ein realistischer Zeitplan?« wollte Petrjanow wissen.
An diesem Punkt
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