Des Teufels Alternative
der Zwischenzeit stattgefunden hat.«
»Wie schmuggelst du das Material heraus?«
»Nach jeder Sitzung werden die Tonbänder und Stenogramme unter Bewachung in das Gebäude des Zentralkomitees gebracht«, antwortete sie. »Dort arbeiten wir in einem eigens gesicherten Büro – fünf Kolleginnen und ich. Unter einem Aufseher. Wenn die Wortprotokolle fertig sind, werden die Tonbänder weggesperrt.«
»Wie bist du dann an das erste herangekommen?« Sie zuckte mit den Schultern.
»Wir haben einen neuen Aufseher – er ist erst seit einem Monat da. Sein Vorgänger hat die Sicherheitsbestimmungen lascher gehandhabt. Neben unserem Büro liegt ein Tonstudio, in dem von den Aufnahmen eine Kopie angefertigt wird, bevor sie in den Safe kommen. Letzten Monat bin ich dort einmal lange genug allein gewesen, um die Kopie zu stehlen und durch eine Leerspule zu ersetzen.«
»Durch eine Leerspule?« rief Munro aus. »Das fällt doch auf, sobald das Band abgespielt wird!«
»Das ist unwahrscheinlich«, beschwichtigte sie ihn. »Sobald sie mit den Tonbandaufnahmen verglichen worden sind, werden die Wortprotokolle als offizielle Unterlagen benutzt. Mit dieser Spule habe ich Glück gehabt: Ich konnte sie in meiner Einkaufstasche unter Lebensmitteln aus dem ZK-Laden herausschmuggeln.«
»Wirst du denn nicht durchsucht?«
»Fast nie. Man vertraut uns, Adam; wir sind die Elite des neuen Rußland. Die Protokolle sind einfacher zu beschaffen. Im Büro trage ich unter meiner Kleidung ein altmodisches Mieder. Als ich das Protokoll der letzten Junisitzung fotokopieren mußte, habe ich eine zusätzliche Kopie gemacht und danach das Zählwerk um einen Satz zurückgestellt. Die zusätzliche Kopie habe ich in mein Mieder gesteckt.«
Munro wurde fast schlecht angesichts des Risikos, das sie einging.
»Worüber haben sie auf der Sitzung gesprochen?« fragte er und deutete auf die Umhängetasche.
»Über die Konsequenzen«, antwortete Walentina. »Was passieren wird, wenn die Hungersnot ausbricht. Was die Bevölkerung mit ihnen anstellen wird. Aber … inzwischen ist das Politbüro nochmals zusammengetreten. Anfang Juli. Ich konnte das Protokoll nicht kopieren, weil ich mir freigenommen hatte. Und es wäre zu auffällig gewesen, wenn ich meinen Urlaub verschoben hätte. Aber nach meiner Rückkehr habe ich mit einer Kollegin gesprochen, die das Tonband abgeschrieben hat. Auf meine Frage nach dem Inhalt ist sie blaß geworden und hat sich geweigert, darüber zu sprechen.«
»Kannst du dieses Protokoll beschaffen?«
»Ich will es versuchen. Ich muß warten, bis das Büro leer ist, um eine Kopie machen zu können. Danach stelle ich das Zählwerk zurück, damit. niemand merkt, daß das Kopiergerät benützt worden ist, Aber das geht nicht vor Anfang September; dann habe ich wieder Spätschicht und arbeite allein im Büro.«
»Wir sollten uns hier nicht mehr treffen«, sagte Munro. »Feste Treffpunkte sind gefährlich.«
Er erklärte ihr eine Stunde lang die Vorsichtsmaßnahmen, die sie beachten mußte, falls sie sich weiterhin treffen wollten. Schließlich gab er ihr etwa zwanzig eng mit Schreibmaschine beschriebene Blätter, die er unter seinem weiten Hemd im Hosenbund versteckt hatte.
»Hier steht alles. Du mußt die Anweisungen auswendig lernen und dann verbrennen. Am besten spülst du die Asche im Klo runter.«
Fünf Minuten später zog Walentina ein sauber in kyrillischer Schrift getipptes Protokoll aus ihrer Umhängetasche, drückte Munro die Blätter in die Hand und verschwand zwischen den Bäumen, um zu ihrem Wagen zu laufen, den sie etwa einen Kilometer entfernt auf einem sandigen Weg abgestellt hatte.
Munro zog sich in das Halbdunkel unter dem Türbogen der kleinen Kapelle zurück. Er holte eine Rolle Klebeband aus der Tasche, ließ die Hose herunter und befestigte die Fotokopien an den Oberschenkeln. Nachdem er die Hose wieder hochgezogen hatte, spürte er bei jedem Schritt das Papier an seinen Schenkeln, aber unter seiner weitgeschnittenen russischen Hose zeichneten sich die Blätter nicht ab.
Bis Mitternacht hatte Munro das Protokoll in der Stille seiner Wohnung ein dutzendmal gelesen. Am nächsten Mittwoch wurde es in dem an das Handgelenk des Kuriers geketteten Aktenkoffer nach London geflogen: in einem festen, versiegelten Umschlag, adressiert an den SIS-Verbindungsmann im Außenministerium persönlich.
Die in den Rosengarten hinausführenden Glastüren des Weißen Hauses waren fest geschlossen, und nur das Summen der
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