Des Teufels Alternative
Klimaanlage war in der Stille des Ovalen Zimmers zu hören. Die schönen Frühsommertage waren längst vorbei, und in der schwülen Washingtoner Augusthitze öffnete niemand Fenster und Türen.
Auf der anderen Seite des Gebäudes bewunderten schwitzende Touristen von der Pennsylvania Avenue aus das vertraute Bild des Haupteingangs des Weißen Hauses mit seinen Säulen, der Flagge und der geschwungenen Zufahrt. Andere standen Schlange, um an einer Führung durch dieses amerikanische Nationalheiligtum teilzunehmen. Keiner von ihnen würde bis in den schmalen Westflügel vordringen, in dem Präsident Matthews mit seinen Beratern konferierte.
Vor seinem Schreibtisch saßen Stanislaw Poklewski und Robert Benson. Der dritte Mann war Außenminister David Lawrence, Rechtsanwalt aus Boston und Exponent der bürgerlichen Gesellschaft an der Ostküste.
Präsident Matthews klappte den vor ihm liegenden Ordner zu. Die englische Übersetzung des ersten Protokolls aus dem Politbüro kannte er natürlich schon längst; was er eben gelesen hatte, war die Auswertung durch seine Experten.
»Bob, mit Ihrer Schätzung, daß dreißig Millionen Tonnen Getreide fehlen würden, haben Sie bemerkenswert gut gelegen«, meinte er anerkennend. »Jetzt scheinen die Russen im Herbst mit einer Fehlmenge von fünfzig bis fünfundfünfzig Millionen Tonnen rechnen zu müssen. Und Sie haben keinen Zweifel daran, daß dieses Protokoll wirklich aus dem Politbüro stammt?«
»Mr. President, wir haben alles überprüft. Die Tonbandstimmen sind echt; der überhöhte Lindangehalt in den Wurzeln der Weizenpflanze ist echt; die Entlassungen im sowjetischen Landwirtschaftsministerium sind echt. Unserer Ansicht nach kann kein ernstlicher Zweifel mehr daran bestehen, daß die Aufnahme eine Sitzung des Politbüros wiedergibt.«
»Wir müssen diese Sache richtig anpacken«, sagte der Präsident nachdenklich. »Wir dürfen uns auf keinen Fall verkalkulieren. Das ist eine einmalige Gelegenheit!«
»Mr. President«, begann Poklewski, »das alles bedeutet, daß die Sowjets nicht nur vor ernsten Versorgungsschwierigkeiten stehen, wie wir angenommen hatten, als Sie letzten Monat vom Shannon-Gesetz Gebrauch gemacht haben. Die Sowjetunion steht vor einer Hungersnot.«
Ohne es zu ahnen, wiederholte er ungefähr die Worte, die Petrow an Iwanenko vor zwei Monaten nach Schluß der Politbürositzung gerichtet hatte. Präsident Matthews nickte langsam.
»Darüber sind wir uns einig, Stan. Die Frage ist nur: Was tun?«
»Lassen Sie sie hungern!« drängte Poklewski. »Das ist der größte Fehler, den sie gemacht haben, seit Stalin im Frühjahr 1941 alle Warnungen des Westens vor einem deutschen Angriff in den Wind geschlagen hat. Diesmal steht der Feind im Inneren der Sowjetunion. Deshalb sollen sie selbst damit fertigwerden.«
»David?« fragte der Präsident seinen Außenminister.
Lawrence schüttelte den Kopf. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Superfalken Poklewski und dem vorsichtigen Bostoner waren berühmt.
»Ich bin anderer Meinung, Mr. President«, sagte er schließlich. »Ich bezweifle vor allem, daß wir uns eingehend genug mit den möglichen Veränderungen befaßt haben, die eintreten könnten, falls in der Sowjetunion im nächsten Frühjahr ein Chaos ausbrechen sollte. Meiner Auffassung nach handelt es sich dabei nicht nur um die Frage, ob wir die Sowjets in ihrem eigenen Saft schmoren lassen wollen. Eine derartige Katastrophe zieht massive weltweite Folgen nach sich.«
»Bob’« fragte Präsident Matthews.
Der CIA-Direktor saß in Gedanken versunken da. »Wir haben Zeit, Mr. President«, antwortete er. »Die Sowjets wissen, daß Sie Ihr Vorkaufsrecht letzten Monat genützt haben. Sie wissen, daß sie zu Ihnen kommen müssen, wenn sie Getreide kaufen wollen. Wie Außenminister Lawrence gesagt hat, sollten wir uns wirklich mit den Perspektiven befassen, die sich aus einer Hungersnot in der Sowjetunion ergeben könnten. Damit können wir sofort beginnen. Früher oder später muß der Kreml die Initiative ergreifen – und dann haben wir alle Trümpfe in der Hand. Wir wissen, wie schwierig die Lage der Sowjets ist; sie haben keine Ahnung, daß wir das wissen. Wir haben den Weizen, die Condors, die Nachtigall, und wir haben Zeit, viel Zeit. Wir können uns in aller Ruhe überlegen, wie wir unsere Trümpfe ausspielen wollen.«
Lawrence nickte und betrachtete Benson mit neuem Respekt. Poklewski zuckte mit den Schultern. Präsident
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