Des Teufels Alternative
Leukämie. Die Ärzte geben mir noch sechs bis zwölf Monate. Das heißt also, daß dies mein letzter Silvester sein wird. Und falls es zu einem Atomkrieg kommt, ist es vielleicht auch für Sie das letzte.
In den nächsten hundert Tagen müssen wir Getreidelieferungen von den Amerikanern bekommen und die Affäre Iwanenko endgültig aus der Welt schaffen. Die Zeit läuft uns verflucht schnell davon. Die Karten liegen offen auf dem Tisch, und wir haben keine Trümpfe mehr auszuspielen.«
Am 28. Dezember boten die Vereinigten Staaten der Sowjetunion offiziell zehn Millionen Tonnen Futtergetreide an – zur sofortigen Lieferung zu Weltmarktpreisen und ohne Anrechnung auf die in Castletown zu vereinbarenden Liefermengen.
Am Silvestertag startete eine zweistrahlige Tupolev Tu 134 vom Flughafen Lwow zu einem Flug nach Minsk. Knapp nördlich der Grenze zwischen der Ukraine und Weißrußland, hoch über den Pripjetsümpfen, stand ein nervös wirkender junger Mann von seinem Platz auf und näherte sich der Stewardeß, die, mehrere Sitzreihen von der zum Cockpit führenden Stahltür entfernt, mit einem Passagier sprach.
Da die Toiletten sich im Heck der Maschine und nicht vorne befanden, richtete sie sich auf, als der junge Mann näherkam. Im nächsten Augenblick riß er sie zu sich herum, schlang ihr den linken Arm um den Hals, zog eine Pistole und drückte sie ihr gegen die Rippen. Die Stewardeß kreischte. Die Passagiere schrien durcheinander. Der Entführer schleppte die Stewardeß bis zu der geschlossenen Cockpittür. Im Türrahmen war eine Gegensprechanlage eingebaut, über die die Stewardeß mit den Piloten sprechen konnte. Die Piloten der sowjetischen Maschinen haben Anweisung, die Tür im Falle einer Entführung unter keinen Umständen zu öffnen.
Etwa in der Mitte der Passagierkabine stand ein Fluggast mit einer Pistole in der Hand auf. Er kauerte sich im Gang nieder, umklammerte den Griff seiner Waffe mit beiden Händen und zielte auf den Entführer, der die Stewardeß immer noch an sich gepreßt hielt und von ihrem Körper gedeckt war.
»Halt, KGB!« rief er. »Keine Bewegung!«
»Die Piloten sollen die Tür aufmachen!« verlangte der Entführer.
»Kommt nicht in Frage!« antwortete der bewaffnete KGB-Flugbegleiter.
»Wenn nicht aufgemacht wird, bring ich sie um!« schrie der Mann.
Die Stewardeß war eine mutige Frau. Sie trat nach dem Entführer, traf sein Schienbein, riß sich los und flüchtete zu dem KGB-Mann. Der Entführer stürzte hinter ihr her. Das war ein Fehler. Kaum hatte er drei Sitzreihen passiert, als ein Mann von seinem Gangplatz aufsprang und den Entführer mit einem Faustschlag in den Nacken zu Boden streckte. Bevor sich der junge Mann aufrappeln konnte, hatte sein Angreifer bereits die Pistole aufgehoben und bedrohte ihn damit. Der Entführer setzte sich langsam auf, starrte seine Waffe an, verbarg das Gesicht in den Händen und begann leise zu schluchzen.
Der KGB-Agent hielt seine Pistole weiterhin schußbereit, als er an der Stewardeß vorbeitrat und sich dem Retter näherte.
»Wer sind Sie?« fragte er. Der andere griff in die Innentasche seiner Jacke, zog eine lederne Ausweishülle hervor und klappte sie auf.
Der Flugbegleiter starrte den KGB-Ausweis an.
»Sie sind nicht aus Lwow«, stellte er fest.
»Ternopol«, bestätigte der andere. »Ich habe Urlaub und bin auf dem Weg nach Hause. Deshalb trage ich keine Waffe. Aber ich habe eine gute Rechte.« Er grinste.
Der KGB-Mann aus Lwow nickte.
»Danke, Genosse. Halten Sie ihn inzwischen weiter in Schach.« Er trat an die Gegensprechanlage, berichtete der Besatzung von dem Vorfall und forderte sie auf, die Polizei in Minsk zu verständigen.
»Kann man sich den Kerl mal ansehen?« fragte eine Lautsprecherstimme.
»Natürlich«, antwortete der KGB-Agent. »Jetzt ist er ungefährlich.«
Das Türschloß klickte. Dann wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet, und der Bordingenieur sah mit ängstlicher Neugier nach draußen.
Der KGB-Mann aus Ternopol reagierte äußerst merkwürdig. Er wandte sich von dem vor ihm auf dem Boden hockenden jungen Mann ab, gab seinem Kollegen einen Schlag mit der Pistole auf den Hinterkopf, stieß ihn beiseite, rannte den Gang entlang und erreichte die Cockpittür. Im nächsten Augenblick war er hindurch und drängte den Bordingenieur ins Cockpit zurück. Der Entführer stand auf, nahm die Pistole des benommenen Flugbegleiters an sich – das KGB-Standardmodell Tokarew 9 mm –, folgte dem
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