Des Teufels Kardinal
Waschbeckenrand.
»Was soll ich damit?« Mooi starrte das Päckchen an. Was es enthielt war unklar, aber es schien in eine dunkelgrüne Papierserviette aus einem Restaurant gewickelt zu sein.
»Machen Sie es auf.«
Edward Mooi zögerte noch, dann griff er langsam danach und schlug die Serviette auseinander.
»Gott im Himmel!«
Gräßlich blau verfärbt, blutig, unförmig geschwollen und mit an-haftenden grünen Papierfasern – eine sauber herausgeschnittene menschliche Zunge. Mooi würgte keuchend, ließ das Päckchen ins Waschbecken fallen und wich entsetzt davor zurück.
»Wer sind Sie?«
»Der Krankenwagenfahrer wollte nicht über den Priester reden, sondern lieber kämpfen.« Der Blonde musterte ihn mit durchdringendem Blick. »Sie sind kein Kämpfer. Im Fernsehen heißt es, Sie seien ein Dichter. Folglich sind Sie ein intelligenter Mann. Deshalb 280
weiß ich, daß Sie jetzt tun, was ich verlange, und mich zu dem Priester bringen.«
Edward Mooi schaute ihn an. Genau davor hatten sie Pater Daniel zu schützen versucht.
»Draußen ist zuviel Polizei. An der kommen wir niemals unbemerkt vorbei.«
»Mal sehen, ob wir’s schaffen, Edward Mooi.«
Roscani starrte die aus dem Wasser gezogene fast unkenntliche Masse aus Blut, Fleisch und Kleidungsfetzen an, die der ältliche Besitzer der Villa, auf dessen manikürtem Rasen sie jetzt standen, im See entdeckt hatte. Die Spurensicherer fotografierten, machten sich Notizen und befragten den Mann, der die Toten entdeckt hatte.
Wer konnte sagen, wer sie waren oder gewesen waren? Aber Roscani wußte es so gut wie Scala und Castelletti. Vor ihnen lagen die sterblichen Überreste der beiden anderen Männer, die an Bord des Tragflügelboots gewesen waren, das Pater Daniel Addison zur Villa Lorenzi gebracht hatte.
Roscani zog einen Schokoriegel aus der Jackentasche, packte ihn aus, biß ein Stück ab und ging davon. Er hatte keine Ahnung, wie diese Männer abgeschlachtet worden waren, aber das war der richtige Ausdruck: abgeschlachtet. Und er wußte, daß dies das Werk des Mannes mit dem Eispicker gewesen war.
Roscani trat an das Seeufer und starrte über das Wasser hinaus. Irgend etwas hatte er übersehen. Irgendein Ereignis hätte ihm etwas sagen sollen.
»Heilige Muttergottes!« Roscani machte auf dem Absatz kehrt und trabte über den Rasen davon. »Los, mitkommen! Wir haben’s eilig!«
Scala und Castelletti ließen die Spurensicherer stehen, um ihrem Chef zu folgen.
Roscani erreichte ihren Dienstwagen als erster. Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und riß das Mikrofon des Funkgeräts aus der Halterung. »Zentrale, hier Roscani. Ich will, daß Edward Mooi sofort zu seinem eigenen Schutz verhaftet wird! Wir fahren sofort hin.«
Im nächsten Augenblick fuhr Scala mit durchdrehenden Rädern an, die Kies auf den frisch gemähten Rasen schleuderten. Roscani saß neben ihm, Castelletti hinten. Keiner der drei sagte ein Wort.
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10.50 Uhr
Harry beobachtete und horchte, als Sonnenlicht zu Schatten und dann Dunkelheit wurde, während der aus Holz und Eisen bestehende Kä-
fig des Lastenaufzugs zwischen Felswänden in die Tiefe sank. Irgendwo dort unten war Danny. Über ihnen befand sich die Forststra-
ße, die sie heraufgekommen und auf der sie Salvatores kleinen Lastwagen an der vereinbarten Stelle zurückgelassen hatten.
Eine Minute verging, dann zwei. Dann drei. Die einzigen Geräusche waren das leise Rattern des Aufzugs und das entfernte Summen eines Elektromotors, während sie auf ihrer Abwärtsfahrt an den in regelmäßigen Abständen angebrachten Sicherheitslampen vorbeikamen. In diesem periodischen Lichtschein konnte Harry Elenas stolze Kopfhaltung, ihre feingeschnittenen Züge und einen ganz neuen Glanz in ihren Augen sehen. Aber plötzlich lenkte ihn etwas von Elena ab: ein vertrauter Geruch nach feuchtem Moos, den er seit vielen Jahren nicht mehr wahrgenommen hatte.
Der Geruch erinnerte ihn sofort wieder an den Nachmittag seines dreizehnten Geburtstags. Er streifte nach der Schule allein durch den Wald, in dem genau dieser feuchte Moosgeruch herrschte. In weniger als zwei Jahren hatten Danny und er ihre Schwester und ihren Vater durch tragische Unfälle verloren und erleben müssen, wie ihre Mutter wieder heiratete und mit ihnen in einen chaotischen Haushalt mit einem distanzierten Ehemann und fünf anderen Kindern zog.
Wie viele andere persönliche Aspekte auch, gingen Geburtstage in einem Durcheinander aus Ungewißheit und
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