Des Teufels Kardinal
schwach beleuchteten Korridor führte: USCITA – Ausgang. Ein Schild mit einem Richtungspfeil.
Harry zögerte, weil er einen Hinter- oder Nebenausgang suchte, um nicht durch die Hotelhalle auf die Straße hinausgehen zu müssen, wo Roscani war. Aber dies war das einzige Hinweisschild, deshalb ging er mit der jungen Nonne in Pfeilrichtung weiter. Hinter der nächsten Tür lag schon die Hotelhalle, die sie nur durch den Hauptausgang verlassen konnten.
»Verdammt!« flüsterte Harry. An der Rezeption standen Gäste, die ihre Zimmer bezahlen wollten. In der Nähe des Ausgangs unterhielt sich ein rundlicher Mann angeregt mit dem Portier. Harry sah sich um. Falls es irgendwo einen weiteren Ausgang gab, wußte er nicht, wo der zu finden war. In diesem Augenblick öffnete sich die Lifttür, und zwei Paare und ein Hoteldiener mit Gepäckkarre traten aus der Kabine und gingen an ihnen vorbei. Wenn sie das Hotel verlassen wollten, mußten sie diese Gelegenheit nutzen.
Harry nickte Elena zu, setzte sich in Bewegung und folgte dem Hoteldiener. Als sie den Ausgang erreichten, ließ er dem Mann mit einer Handbewegung den Vortritt. Der Hoteldiener schob seine Ge-päckkarre ins Freie, Harry und Elena traten unmittelbar hinter ihm auf die Straße. Dort bog Harry abrupt links ab, um im Fußgänger-strom mitzuschwimmen.
»Buon giorno.« Ein Mann zog grüßend den Hut. Ein junges Paar lächelte sie an. Die beiden gingen weiter.
»Gleich links die Treppe hinauf«, sagte Elena ruhig.
Dann sah Harry, wie Roscani von der Anlegestelle heraufkam, genau wie er selbst am Abend zuvor. Er ging so rasch, daß die beiden anderen Kriminalbeamten Mühe hatten, ihm zu folgen. Harry blieb unwillkürlich etwas dichter bei Elena, um sie zwischen sich und den Polizeibeamten zu haben.
Sie hatten die Straßenecke schon fast erreicht, und Harry sah die Treppe, von der Elena gesprochen hatte, als Roscani plötzlich den Kopf hob. Sein Blick war genau auf Harry gerichtet. Im selben Au-275
genblick begann Elena auf italienisch zu reden. Er hatte keine Ahnung, was sie sagte, aber sie gestikulierte lebhaft, zeigte nach vorn und tat so, als führten sie ein angeregtes Gespräch. An der Treppe bog sie nach links ab und verstummte ebenso abrupt, wie sie zu reden begonnen hatte.
Dann waren sie zwischen anderen Fußgängern auf der Treppe. Sie schlängelten sich zwischen ihnen hindurch, kamen an Geschäften und Restaurants vorbei. Erst als sie oben waren, riskierte Harry einen Blick hinter sich. Nichts: keine Polizei, kein Roscani, nur Touristen und ein paar Einheimische.
»Die Männer, die vom Steg heraufgekommen sind, waren Polizisten«, sagte Elena.
»Ja, ich weiß.« Als sie weitergingen, musterte Harry sie von der Seite und fragte sich besorgt, wer sie war und in wessen Auftrag sie handelte.
276
77
9.10 Uhr
Harry schaltete krachend, lenkte um eine Kurve, biß die Zähne zusammen, schaltete nochmals und beschleunigte eine enge Straße hinunter. Der kleine Lastwagen, den Salvatore für sie abgestellt hatte, war alt und klapprig; die Kupplung rupfte, und die ganze Schal-tung war ausgeschlagen. Harry legte rumpelnd den nächsten Gang ein. Sie bogen an einem Park ab und ließen Bellagio hinter sich.
»Erzählen Sie mir von meinem Bruder.« Er achtete einen Augenblick lang nicht auf die Straße, sondern beobachtete Elena, um festzustellen, ob sie wirklich etwas über Danny wußte.
»Er hat sich beide Beine gebrochen und Brandverletzungen an Kopf und Oberkörper. Außerdem hat er eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Aber sein Zustand hat sich schon gebessert: Er fängt an, feste Nahrung zu sich zu nehmen, und kann langsam wieder reden. Sein Gedächtnis ist lückenhaft, aber das ist in solchen Fällen normal. Er ist noch schwach, aber seine Genesung macht Fortschritte. Ich glaube, daß er wieder ganz gesund wird.«
Danny lebte! Das verschlug Harry den Atem. Alle möglichen Ge-fühle stürmten auf ihn ein, als seine Hoffnungen plötzlich Realität wurden. Aber gleich darauf wurde er unsanft in die Gegenwart zu-rückgeholt. Auf der Straße vor ihnen fuhren die Autos langsamer, kamen zum Stehen.
»Carabinieri«, sagte Elena.
Harry griff nach dem Schalthebel, wieder krachte das Getriebe, als er herunterschaltete und dicht hinter dem weißen Lancia zum Stehen kam, der das Schlußlicht einer kleinen Autoschlange bildete, die an der von der Polizei errichteten Straßensperre hielt.
Zwei mit Uzis bewaffnete Carabinieri kontrollierten die Insassen der
Weitere Kostenlose Bücher