Des Teufels Kardinal
einschlafen. Vielleicht hatte er sich dafür entschieden, ein Priester zu bleiben, weil das am einfachsten war. Und weil er damit Erfolg gehabt hatte. Und nicht etwa aus einem anderen Grund… weil er auf seltsame Weise das Bedürfnis hatte, Danny wirklich zu verstehen. Um zu tun, was Herkules so beiläufig vorgeschlagen hatte. Um wenigstens für gewisse Zeit sein Bruder zu werden.
Marsciano saß allein in seiner Bibliothek und hatte seinen PC ausge-schaltet. Die Bücher in den wandhohen Regalen, die ihn umgaben, erschienen ihm in seiner jetzigen Stimmung lediglich dekorativ. Die einzige Lichtquelle war eine Halogenlampe auf seinem Schreibtisch.
Vor ihm auf der Schreibtischplatte lag der Umschlag, der ihm in 179
Genf in dem Päckchen mit dem Vermerk »Eilig« zugestellt worden war. Er enthielt eine Tonbandkassette, die Marsciano sich einmal angehört und dann nie wieder abgespielt hatte. Weshalb er sie sich jetzt anhören würde, wußte er nicht. Aber er fühlte sich unwidersteh-lich von ihr angezogen.
Er öffnete eine Schublade, stellte einen Walkman auf den Schreibtisch, zog die Kassette aus dem Umschlag und legte sie ein. Nach kurzem Zögern drückte er auf die Starttaste. Ein leises Surren zeigte, daß das Band anlief, dann hörte er eine Stimme – gedämpft, aber klar verständlich.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Mö-
ge Gott, der alle Herzen erleuchtet, dir helfen, deine Sünden zu erkennen und auf seine Gnade zu vertrauen.«
Dann eine andere Stimme: »Amen.«
»Segne mich, Pater, denn ich habe gesündigt«, fuhr die zweite Stimme fort. »Meine letzte Beichte liegt schon viele Tage zurück.
Dies sind meine Sünden…«
Marscianos Zeigefinger drückte plötzlich die Stopptaste, er saß wie gelähmt da, weil er es nicht ertragen konnte, mehr zu hören.
Diese Beichte war ohne Wissen des Beichtenden oder des Priesters aufgenommen worden. Der Beichtende, der Bußfertige, war er selbst.
Der Geistliche war Pater Daniel.
Voller Abscheu und Entsetzen, von Palestrina an die dunkelsten Ränder seiner Seele getrieben, hatte er auf einzig mögliche Weise Rat und Hilfe gesucht. Pater Daniel war nicht nur sein geschätzter Mitarbeiter und guter Freund, sondern auch ein Priester, und was er ihm anvertraute, würde unter den Schutz des Beichtgeheimnisses fallen und niemals aus dem Beichtstuhl hinausgelangen.
Aber es war hinausgelangt. Weil Palestrina seine Beichte hatte aufzeichnen lassen. Und er zweifelte nicht daran, daß Farel in Palestrinas Auftrag auch an anderen Orten Abhörmikrofone hatte anbringen lassen. Überall dort, wo Marsciano und die anderen Kardinäle sich aufhalten konnten.
Der zunehmend paranoide Sekretär des Auswärtigen sicherte sich an allen Fronten ab und spielte den großen Feldherrn, als den er sich Marsciano gegenüber schon vor vielen Jahren ausgegeben hatte.
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Damals war Palestrina angeheitert gewesen, aber er hatte ihm allen Ernstes und stolz erklärt, seiner Überzeugung nach sei er der wieder-geborene Alexander der Große, der Eroberer des persischen Welt-reichs. Und so hatte er seit damals gelebt. Dadurch war er in seine jetzige Position aufgestiegen. Ob das auch andere glaubten, spielte dabei keine Rolle, weil er selbst davon überzeugt war. Und Marsciano hatte beobachten können, wie Palestrina immer mehr in eine Feldherrenrolle hineinwuchs.
Wie rasch und brutal er gehandelt hatte, nachdem er diese Aufnahme gehört hatte! Marsciano hatte am späten Donnerstag abend gebeichtet, und am Freitag morgen war Pater Daniel nach Assisi gefahren, bestimmt ebenso entsetzt wie Marsciano und auf der Suche nach innerem Frieden. Für den Kardinal stand fest, wer versucht hatte, Danny zu beseitigen, indem er den Bus in die Luft gejagt und dabei auch viele Unschuldige umgebracht hatte. Daraus sprach dieselbe Unmenschlichkeit wie aus seinen Plänen für China, derselbe Verfol-gungswahn, der Palestrina dazu brachte, nicht nur allen Menschen in seiner Umgebung zu mißtrauen, sondern auch das Beichtgeheimnis und damit das Kirchenrecht zu mißachten.
Marscianos Blick kehrte wieder in seine schwach beleuchtete Bibliothek und zu dem Gerät auf seinem Schreibtisch zurück. Im Beichtstuhl hatte er Pater Daniel die Wahrheit über die Ermordung Kardinal Parmas und seine eigene Beteiligung an Palestrinas Geheimplan zur Stärkung des Einflusses der Kirche in China gebeichtet. Es war ein Geheimplan, der nicht nur die gezielte Verlagerung von Investitionen des Vatikans
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