Des Teufels Maskerade
Halten veranlasste. Lili Trubic, atemlos, das Kleid gerafft und ihr Handtäschchen wie eine Schleuder schwingend, rannte auf uns zu.
»Wo ist er?«, bestürmte sie uns. »So reden Sie doch!« Das Haar fiel ihr in unordentlichen Locken herab, ihr Hut saß schief. »Ich habe den Brief gelesen, und ich muss ihn sehen!«
»Er ist fort«, sagte ich.
Lili klammerte sich an der Karosserie des Wagens fest. »Fort?«, wiederholte sie verständnislos. »Aber das kann nicht sein. Er ist verletzt. Vielleicht kann ich ihm helfen?«
Lysander seufzte schwer. »Wenn Sie ihm helfen wollen, dann tun Sie, was er Ihnen anempfiehlt. Gehen Sie!«
Sie ließ den Verschluss ihrer Handtasche auf- und wieder zuschnappen. Dann lächelte sie: Es war das sanfte, bittersüße Lächeln eines Mädchen, das die wilden Versprechungen der Kindheit, all die geheimen Träume und Lüste, mit einem Mal hinter sich lässt, um sich der Alltäglichkeit zu stellen – an der Seite eines kleinen Klavierspielers, in einer fremden Stadt. »Wenn Alvin von meinem Blut tränke …«
»Ja«, sagte ich. »Es würde ihm helfen, zu heilen.«
17
PRAG 4. BIS 6. JULI 1909
AUS DEN AUFZEICHNUNGEN BARON SIRCOS, PRAG, 4. JULI 1909
Die Nacht war heiter und farbenfroh, in Esthers Salon wenigstens: Lichter, Perlen und Uniformen glänzten um die Wette. Ein Mädchen in hauchzartem Kleid und Zylinder, saß am Pianino und klimperte einen bekannten Gassenhauer; ein pockennarbiger Husarenrittmeister, in jedem Arm eine Dirne, gab lautstark Zoten zum Besten und ein Champagnerkorken prallte gegen einen Spiegel.
Mariana, die allein mit einer Flasche Minzliqueur an ihrem Tischchen saß, winkte uns freundlich zu und rief über das Stimmengewirr quer durch den Raum: »Madame erwartet Sie schon, Herr Baron.«
Ich eilte, gefolgt von meinen Kameraden, die Treppe empor.
»Na endlich, meine Herren, dass ihr euch auch noch blicken lasst!« Esther, in ihrem Kimono aus Seide, kam uns mit ausgebreiteten Armen entgegengeeilt. »Nicht, dass wir uns nicht recht gut unterhalten hätten, der Doktor, die Milena und ich – aber jünger wird der Tag auch nicht mehr!« Sie warf einen Blick auf die opulent verzierte Wanduhr. »Was war denn los?«
Ich hob eine Hand in Abwehrgeste. »Dein Marchese hat uns aufgehalten«, sagte ich. Was im Grunde genommen keine richtige Lüge darstellte.
Esther stemmte die Hände in die Hüften. »Mein Marchese?«, wiederholte sie, und endlich erkannte ich den Schaden, den ich mit einem unbedachten Wort angerichtet hatte.
»Mein Marchese«, wandte sie sich mit komischer Verzweiflung an Lysander. »Hat der feine Herr Baron die Chuzpe, mich heute Vormittag noch heiraten zu wollen, und jetzt ist es schon wieder mein Marchese!«
Mirko japste. Lysanders Ohren zuckten.
»Wehe, ihr brecht in Gratulationen aus!« Stolz reckte Esther das Kinn. »Angenommen hab’ ich nämlich nicht.«
Ich schritt an ihr vorbei in das Zimmer, um mir die eingehenderen Erläuterungen meiner Niederlage zu ersparen.
Dr. Rosenstein und Milena teilten sich den Diwan gegenüber der Tür; eine gewisse Vertrautheit jener exklusiven Sorte, wie sie bei älteren Ehepaaren und langjährigen Kontrahenten vorzukommen pflegt, schien sie aneinanderzubinden – weit mehr noch als die Eisenkette, die sich um ihrer beider Handgelenke schlang.
»Baron!« Der Doktor war aufgesprungen, doch um mir entgegenzueilen, reichte der Radius seiner Kette nicht aus.
Ich deutete eine Verneigung vor Milena an, grüßte Rosenstein mit ausgesuchter Herzlichkeit und dankte ihm für sein Kommen.
»Ich hoffe nur, dass ich Ihren Erwartungen gerecht werde, Baron«, antwortete er und verzog die Lippen. Er hatte sich den Schnurrbart abrasiert; dieser imposanten Gesichtsbehaarung beraubt, wies er mehr denn je Ähnlichkeit mit einer hübschen, ausnehmend intelligenten Spitzmaus auf.
Auch Milena hatte ihr Erscheinungsbild etwas umgestaltet: In dem blütenweißen, hochgeschlossenen Sommerkleid, das Haar mit Schleifen gebändigt, wies sie große Ähnlichkeit mit
einer Pensionatsschülerin in frühem Backfischalter auf. Aber sie mochte wohl auch nicht viel älter gewesen sein, als sie ihr grausames Schicksal ereilt hatte.
»Sie sind mit meiner Maskerade nicht einverstanden, Baron?« , sagte sie freundlich. »Versuchen Sie nicht, es abzustreiten. Ich sehe es Ihnen an.«
Mir stand der Sinn nicht nach scherzhaftem Geplänkel. »Sie wissen, wonach ich Sie fragen werde?«, fragte ich stattdessen.
»Die Antwort ist
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