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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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in Dieppe – zu einem Zeitpunkt, da ich mich kaum den Anforderungen des Alltags ohne fremde Hilfe stellen, geschweige denn daran denken konnte, in näherer Zukunft an einem Automobilrennen teilzunehmen – hatte ich einer Laune folgend einen Mercedes-Rennwagen erworben. Binnen kürzester Zeit waren solch erhebliche Modifikationen an ihm vollzogen worden, dass er seinen Markennamen »der Benz« nur noch als Ehrentitel trug. So durfte ich mich mittlerweile mit Fug und Recht im Besitz eines der ungewöhnlichsten Fahrzeuge wähnen, das man in
den Straßen Prags bestaunen konnte. (Sah man von dem dampfbetriebenen Fuhrwerk des Herrn Geiger ab, einer wahren Monstrosität, die unter höchstmöglicher Lärmentfaltung an jeder sich bietenden Straßenecke liegen zu bleiben pflegte.)
    Den Marchese freilich hatte mein Umgang mit dem Benz beinahe an den Rand des Wahnsinns getrieben; in den wenigen Tagen, seit er den Benz und mich wenigstens temporär zu seinem Rennstall zählen durfte, hatte ich bereits Dutzende Telegramme erhalten, die sich nach dem Befinden von Fahrer und Wagen erkundigten. Die Tatsache, dass ich mein Automobil nicht ausschließlich für die Rennen schonte, sondern mir den Luxus gönnte, es auch als Verkehrsmittel zu nutzen, hatte ihn die Hände über seinem Kopf zusammenschlagen und in schnellem Italienisch fluchen lassen. (Später hatte er sich allerdings höchst interessiert erkundigt, wen ich in welchem Rahmen hatte bestechen müssen, um eine Straßenverkehrszulassung für einen Rennwagen zu erhalten.)
     
     
    In meinem Coupé angelangt – das ich mit zwei jüngeren Männern, Gehaben und Pose nach leicht als Studenten zu erkennen, sowie einem peinvoll bourgeoisen Ehepaar zu teilen hatte  –, lehnte ich mich erschöpft in meinem Sitz zurück. Mein übernächtiges Gesicht verbarg ich vor den Blicken der Reisegefährten hinter meiner Zeitung, obschon ich mich nicht in der Lektürestimmung für schwierige außenpolitische Themen befand. Noch weniger stand mir jedoch der Sinn danach, von meinen Mitreisenden in eine Plauderei verwickelt zu werden. Am Fenster zog schon bald die Vorstadt vorbei, eine triste Parade von Fabriken, Lagerhallen und zusehends schäbigeren Wohnhäusern – ein armseliges Verabschiedungskomitee, das sich hier an die Stadt drängte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten Trostlosigkeit und Armut mich melancholisch gestimmt;
heute atmete ich den Geruch billigen Zeitungspapiers ein und ließ meine Gedanken schweifen.
    Ich sorgte mich um Felix.
    Das war die Wahrheit, simpel und lächerlich. In den langen Stunden der vergangenen Nacht, in der es mir misslungen war, nicht weiter an unsere bittere Unterredung zu denken, hatte ich es erkennen müssen: Ich sorgte mich um Felix, und ich trauerte um ihn. Trauerte um das, was Zeit, Schicksal und all die Schlachten, die er einsam in Dunkel und Schweigen hatte führen müssen, aus ihm gemacht hatten. Nein, ich konnte sie nicht mehr leugnen, diese vage Zuneigung, die ich noch immer für ihn empfand, und die ich wohl – so meine triste Einschätzung an diesem trüben Sommertag – bis ans Ende meiner Tage für ihn empfinden würde. Was auch immer zwischen uns geschehen war, geblieben war ein wenig Freundschaft und ein wenig mehr Verständnis.
    Hätte er davon gewusst, er hätte mich ausgelacht, und ich hätte miteingestimmt in dieses Gelächter, diesen Maskentanz falscher Fröhlichkeit, der durch meinen Kopf hallte. Benommen starrte ich auf eine Schlagzeile, die von Kriegsängsten und Aufrüstung sprach; nur langsam kehrte ich in die Wirklichkeit meines Bahnabteils zurück, in der die beiden Studenten sich offensichtlich übungshalber in bizarrem Französisch unterhielten, während der gut gekleidete Herr an der Schulter seiner Gemahlin eingeschlafen war.
    Ein weiteres Mal nahm ich Lysanders letzten Brief zur Hand, der mich erst an jenem Morgen, unmittelbar vor meinem Aufbruch erreicht hatte. Die vorsichtigen Andeutungen, die unhaltbaren Anschuldigungen meines alten Gefährten, mit dem ich so viele Abenteuer und Missgeschicke durchlebt hatte, verletzten mich tief.

     
     
    Ich schrak aus einem leichten Schlaf hoch, als der Zug mit quietschenden Bremsen in der Haltestelle einer kleinen Stadt mitten in der tiefsten böhmischen Provinz einfuhr; vor dem Bahnhofsgebäude verabschiedeten sich bäurische Reisende im Sonntagsstaat von ihren Familien. Zwei Offiziere, ihren Uniformen nach Dragonerleutnants, hatten den Zug verlassen, und ich sah den

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