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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie nunmehr unter Mordverdacht steht?«
    Lysander legte die Ohren an.
    »Anstiftung zum Mord«, präzisierte ich.
     
     
    Als ich erwachte, saß die Krähe auf dem Fenstersims.
    Ich hatte von Waldhausen geträumt, der mir eine entsicherte Duellpistole entgegenhielt. »Bringen Sie zu Ende, Hauptmann, was ich begonnen habe«, hatte er gesagt. »Ruinieren Sie doch das Leben der kleinen Trubic. Lassen Sie die Welt wissen, dass sie eine Mörderin ist. Oder …« Im Traum hatte Waldhausen gelächelt, wie er damals lächelte, als wir einander in einer engen Schreibstube in einem Haus nahe Mostar gegenübersaßen und seine Worte in meinen Ohren widerhallten: »Prozess« und »Militärgericht« und »Skandal«.
    »Oder«, Waldhausen krümmte den rechten Zeigefinger in der Luft. »Bumm«, machte er leise.
    Ewigkeiten schienen zu verstreichen, ehe ich mich aus Traumgespinsten und zerwühlten Laken an die Oberfläche der Realität zurückgekämpft hatte. Gerade schickte die Sonne sich an, über Wien aufzugehen. Ein rotgoldener Ball am Horizont, der neue Schicksalsschläge und Abenteuer versprach, von Triumph und Niederlage erzählte.
    Ja, Niederlage.
    Die Krähe am Fenster beobachtete mich mit stoischer Ruhe. Ihr Gefieder plusterte sich im Sommerwind.

    Totenvogel, Totenvogel.
    Wenn es einen Rennfahrer gibt, der nicht wenigstens ein bisschen abergläubisch ist, so bin ich ihm noch nicht begegnet. Der eine trägt ein geweihtes Medaillon um den Hals, der andere eine Affenpfote in der Tasche, der Dritte steigt erst in sein Automobil, nachdem er es fünfmal gegen den Uhrzeigersinn umrundet hat … Wir haben alle unsere Rituale. Gestern etwa, im Laufe eines ebenso langwierigen wie langweiligen Abendessens mit Fahrern und Mannschaft des Marchese, hatte ein gewisser Mr Stapelton uns seine etwas verschrobene Überzeugung auseinandergesetzt, nur deshalb Dutzende Rennen überlebt zu haben, weil er bei allen dieselbe grellbunte Krawatte getragen hatte.
    Erschöpft ließ ich mich zurück in die Kissen fallen, strich mir eine schweißverklebte Haarsträhne aus der Stirn.
    Noch war Zeit, die Omen gegeneinander abzuwägen. Dem Fall Trubic den Vorzug zu geben. Auf ein kleines Vermögen Preisgeld zu verzichten und auf das erhebende Gefühl, auf dem schmalen Seil zwischen Sein und Tod zu tanzen, während man für ein paar Stunden, Runden, ein Gott unter Göttern wurde und nicht mehr nur den eigenen Schicksalsfaden in der Hand hielt. Es war der Glaube an die Kalkulierbarkeit des Risikos, der mich reizte: Hier zogen die Gladiatoren der neuen Zeit in die Arena, einer wie der andere erfüllt von der Überzeugung zu leben, zu siegen, weil er keinen Fehler machen würde, weil seine Maschine stärker war – weil er die gelb gemusterte Krawatte trug.
    Der Tod kam immer überraschend. Selbst wenn eine zerzauste Krähe auf dem Fensterbrett Wache hielt.
    Einem sonderbaren Impuls nachgebend, stand ich auf, streifte meinen Morgenrock über und öffnete die Fensterflügel.
    Die Krähe regte sich nicht.
    »Bitte, kommen Sie doch herein«, wandte ich mich an sie.
»Ich hoffe, Sie verzeihen mir meinen wenig repräsentablen Aufzug.«
    Der Vogel legte den Kopf schief und sah mich an.
    »Ich verspreche, dass ich Ihnen nichts tun werde.«
    Diesmal war der Schrei, den die Krähe ausstieß, fraglos ein Lachen.
    Langsam, vorsichtig, streckte ich meine linke Hand nach ihr aus, bemerkte gleichzeitig – beinahe peinlich berührt –, dass ich versäumt hatte, den Handschuh anzuziehen und nun die scheußlichen Brandnarben zur Schau stellte.
    »Verstehen Sie mich?«
    Dass die Krähe bei diesen Worten auf meinen Arm flatterte, war mir Antwort genug. Ihre zerzausten schwarzgrauen Schwanzfedern streiften meine Hand, ihre Krallen gruben sich durch Stoffschichten und Narbengewebe in meinen Unterarm, doch der Schmerz war mir willkommen. Immerhin war er … bekannt, herkömmlich, bedeutungslos. Was man von meiner Unterhaltung mit der Krähe am Morgen eines Automobilrennens nicht behaupten konnte.
    »Können Sie sprechen?«
    Die Krähe verlagerte ihr Gewicht, balancierte auf einem Bein.
    »Nein?«
    Sie krächzte. Ich hatte den Verdacht, dass es ihr Spaß machte, mit mir zu spielen.
    »Gibt es einen Grund, weshalb Sie mir folgen?«
    Die Krähe wanderte auf meinen Arm auf und ab; für ein Wesen von ihrer geringen Größe wog sie unerwartet schwer. Ihre dunklen Augen sprühten vor Spott, als sie mich plötzlich und heftig in den Handrücken

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