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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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gedenken.«
    Verstohlen stützte ich mich an dem Bettpfosten ab, einmal mehr im Kampf um Gleichgewicht und Würde. »Wären Sie wohl so freundlich, uns einen Wagen zu rufen, Dr. Rosenstein? Ich würde Ihrer Centrale zu gern einen kleinen Besuch abstatten.«

8
WIEN 28. BIS 29. JUNI 1909

AUS DEN AUFZEICHNUNGEN BARON SIRCOS, WIEN, 28. JUNI 1909
    Dr. Rosenstein bestand darauf, dass wir unsere Kutsche am Graben zurückließen; eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme, die ich nur wenig billigen konnte, zumal Lysander nicht davon abzubringen war, ungeachtet des warmen Sommerwetters und meiner angeschlagenen Konstitution einmal mehr als Pelzkragen um meine Schultern zu liegen.
    Kaum vermochte ich Schritt zu halten mit Rosenstein, der uns tiefer und tiefer in das Gassengewirr führte, fort von den Prunkstraßen und Prachtbauten, mit denen Wien sich so reichlich schmückte. Mit jeder Ecke, um die wir bogen, wurden die Häuser schmäler, Stuckaturen und Verzierungen am Mauerwerk seltener, die Torbögen so eng, dass ein Fuhrwerk kaum noch passieren konnte; und dennoch war darin nicht jene Schlichtheit, welche die Armut mit sich brachte, zu erkennen, sondern jene der Zeit.
    Längst schon hatte ich den Versuch aufgegeben, die Orientierung zu behalten. Stattdessen stolperte ich hinter Rosenstein weiter über ausgetretene Pflastersteine, vorbei an spärlich beleuchteten Wohnungen und von alten Zunftschildern gezierten Geschäftslokalen. Obgleich meine Reisen mich schon etliche Male in die Hauptstadt des Kaiserreichs geführt hatten, war mir dieser Ort, das alte Herz Wiens, gänzlich fremd – und dennoch ein wenig vertraut: In seiner verwinkelten Enge erinnerte mich das Viertel ein wenig an jene mittelalterlichen
Flecken Prags, denen weder Fortschritt noch der Lauf der Zeit etwas anhaben konnten.
    Eine Katze, die fauchend über die Gasse in einen dunklen Hinterhof huschte, ließ uns alle zusammenzucken. Bisher waren wir außer zwei Betrunkenen, die aus einer dunklen Schenke torkelten und singend und pfeifend in der Nacht verschwunden waren, niemandem begegnet.
    Das Haus, vor dem Dr. Rosenstein schließlich stehen blieb, unterschied sich kaum von seinen Nachbarn: die bräunlichgraue Fassade war schlicht, die Fenster niedrig und schmal und das Dach, so schien mir, etwas schief. Allein das schwere, eisenbeschlagene Tor lieferte einen kleinen Hinweis auf die Geheimnisse und Mysterien, die sich dahinter verbargen.
    »Die Centrale«, sagte Rosenstein feierlich und betätigte den Türklopfer.
    Sofort wurde das Tor einen Spaltbreit geöffnet. Ein dünnes, rattengleiches Gesicht lugte hervor und musterte uns argwöhnisch. Rosenstein bellte ihm ein paar mir vollkommen fremdartige Worte entgegen, die wenigstens in Klang und Melodie der deutschen Sprache zu entstammen schienen. Der Wachposten blinzelte, gähnte und ließ uns eintreten.
     
     
    »Sie schwören bei Leben und Ehre, dass Sie sich keinen Scherz mit uns erlauben?«, erkundigte sich Lysander interessiert, als wir den weitläufigen Innenhof durchquerten, in dem ein reizender Ziergarten angelegt worden war, in dessen Mitte ein Springbrunnen sprudelte.
    Rosenstein bedachte die steinerne Najade am Brunnenrand mit einem grimmigen Blick. »Bedaure, ich mache mir nichts aus Pennälerhumor«, erklärte er knapp.
    Aus einem hell erleuchteten Fenster drang wunderliches Geigengefiedel zu uns herab, fünf Takte eines alten Gassenhauers
in unablässiger Wiederholung. Jemand fluchte lautstark – gegen die musikalische Untermalung? Eine Tür wurde zugeschlagen, für einen Moment herrschte Ruhe, dann begann der Geiger wieder sein Instrument zu kratzen.
    Am gegenüberliegenden Ende des länglichen Hofs entsperrte Rosenstein eine weitere Tür. Schweigend führte er uns durch Gänge und Stiegenhäuser. Schon im Mezzanin sah ich mich gezwungen, Lysander abzusetzen.
    »Ist Ihnen nicht wohl, Baron?«
    Rosenstein beobachtete mich, wie ich mit einem Taschentuch meine schweißfeuchten Wangen betupfte. Das schmerzhafte Pochen hinter meiner Stirn schien sich mit jedem Schritt zu steigern, beim Atmen tat mir der Brustkorb weh, mein linker Arm in der Schlinge wog so schwer wie Blei; kurz, ich fühlte mich miserabel und begann allmählich, an der Weisheit unseres abendlichen Ausflugs zu zweifeln.
    Selbst wenn es uns mit Hilfe der Centrale gelingen sollte, bewusste Vilja ausfindig zu machen – so sie Wien noch nicht verlassen hatte –, standen die Chancen, dass sie sich kooperativ zeigte, vernichtend

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