Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Freundin, sie musste sterben, weil sie glaubte, etwas besser zu wissen, und sich lustig darüber machte, dass ich ein Gleichnis aus der Bibel falsch rezitiert hätte. Und die fünf letzten haben nicht viel verbrochen, sie sollten nur eine Warnung sein. Für dich, Anna Pippel. Ich war wütend, wütend auch auf Pippin. Doch Pippin kann nichts dazu, er ist ein armer Junge, ein armes, von seiner Mutter verstoßenes Kind.
Es gab noch viele andere, die gelacht haben, und es gab auch deine Freundinnen Liese und Therese. Sie haben nie über mich gelacht, aber sie waren gefährlich, und deshalb mussten auch sie sterben. Schade eigentlich, denn Liese Kroll war das einzige patente Weib, das mir je begegnet ist. Und du, Anna Pippel, bist zwar nicht patent, aber ein unglaubliches Glückskind – bisher.«
»Pippin hat Euch erzählt, wo ich bin.«
»So ist es. Ich habe dich gesucht, von dem Tag an, an dem du über mich gelacht hast. Als du aus dem Heer vertrieben wurdest, habe ich dich in Paderborn aufgespürt und erstmals gewarnt. Doch Pippin war schneller. Du bist geflüchtet. Dann habe ich deine Spur verloren. Aber der gute Junge hat mir, als wir längst hier in Bayern waren, erzählt, dass auch du hier bist. Nur hat er mir fehlerhaft, absichtlich fehlerhaft, berichtet. Bei deiner Freundin, der Magd Rosi, habe ich dich gesucht, doch da warst du nicht, und das dumme Ding wollte mir auch nichts von dir erzählen. War eifersüchtig, war in mich verliebt.
Aber dann bist du aufgetaucht, bist im Heer aufgetaucht, hast dich sogar mit mir unterhalten. Ich musste dich nur noch verfolgen und dir wieder eine kleine Warnung geben. Doch erneut ist Pippin dazwischengekommen. Und weil ich ihm seinen Hund erschossen habe, hat er mir wehgetan. Das erste Mal, dass er Hand an mich gelegt hat. Das war dein Glück, denn er hat brutal zugehauen, so brutal, dass ich beinahe verstorben wäre. Eine alte Offizierswitwe hat mich wieder gesund gepflegt. Aber jetzt ist deine Zeit gekommen, und er wird nicht wieder ein-schreiten. Nicht wahr, Pippin?«
Pippin war aus seinem Dämmerzustand erwacht, saß aber noch immer abseits auf dem stein.
»Die Frau singt. Sie singt wie Mama.«
»Halt endlich den Mund mit deiner verfluchten Mama.«
Und plötzlich ging Anna ein Licht auf. Wie kam es, dass sie eshatte vergessen können? Die Geschichte, welche Elisabeth Knopf, die Wirtin aus dem Taunus, erzählt hatte. Die Geschichte von dem Schaustellermädchen Felicitas, das ein krankes Kind zur Welt gebracht und von ihrem Liebsten verlassen worden war. Der dann zurückgekehrt war und alle Wagen der fahrenden Leute in Brand gesetzt hatte. Das Kind jedoch, mit Namen Pippin, hatte er mit sich genommen.
Eine Gänsehaut lief über Annas Arme und Rücken. Das konnte kein Zufall sein. Das war Fügung, göttliche Fügung. Sie kannte Pippins Geschichte, sie kannte sie schon lange, und hatte sich nur nicht daran erinnern können. Jetzt fiel ihr alles wieder ein. Der Mann, der die Menschen verbrannt und das Kind entführt hatte, dieser Mann musste Georg Bracht gewesen sein.
»Seid Ihr Pippins Vater?«, fragte sie forsch.
»Wie kommst du auf solch eine wahnwitzige Idee, du dumme Gans?« Bracht tobte vor Wut.
»Ich kenne die Geschichte. Ich kenne Felicitas. Ich weiß, dass sie alle verbrannt sind. Ich weiß auch, dass alle über Euch gelacht haben. Über das schlechte Theaterstück, das Ihr geschrieben habt.«
»Du Drecksluder!« Bracht versuchte aufzuspringen und auf Anna loszugehen. Doch er fiel vornüber in den nassen Uferboden. Anna ging nur zwei Schritte zurück und wartete, bis der Gefesselte sich aus eigener Kraft wieder aufgerichtet hatte.
Pippin saß nun nicht mehr auf seinem Stein. Er stand und starrte mit offenem Mund ungläubig auf den Mann, den Anna als seinen Vater bezeichnet hatte.
»Seid Ihr nun sein Vater?«, fragte Anna erneut mit fester Stimme.
»Nein«, schrie Bracht. »Wie soll ich der Vater einer solchen Missgeburt sein? Er tat mir leid, das ist alles. Auch er hat gelitten wie ich. Auch über ihn wurde gelacht. Auch über ihn hat man sich lustig gemacht. Seine Mutter, die syphilitische Hure, hat ihn versteckt, hat sich für ihn geschämt.«
»Mama war gut zu mir.« Pippin kam auf Bracht zu, seine Stimme war verzweifelt.
»Das war sie nicht, sie wollte dich nicht.«
»Sie war gut zu mir, immer war sie gut zu mir.«
Bracht lachte nur. »Sie hat es verdient gehabt zu sterben. So wie das gesamte verkommene Pack es verdient hatte.«
»Du hast sie
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