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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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abwärts in Richtung Corveyer Land. Und wie ein vom Vater übergangener trotziger Knabe ließ dieser restliche Teil des Regimentes seinem Unmut freien Lauf. Leidtragende waren wieder einmal die Bauern.
    Von Glück konnten die Ortschaften auf der anderen seite der Weser sagen. Sie schafften es, rechtzeitig ihre Fähren zu kappen und somit die Plünderer von ihren Häusern, ihrem Vieh und ihren Frauen fernzuhalten. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie, wie am gegenüberliegenden Ufer die Dörfer brannten.
    Danach streiften die soldaten und ihr unverändert riesiger Anhang wochenlang orientierungslos in den Gebieten des Bistums Paderborn und des stiftes Corvey umher. Ihr einziges Ziel war das Überleben. Und dazu benötigten sie Nahrung, viel Nahrung – so viel Nahrung, dass die Dörfer und Städte dieser Gegend sich hilferufend an den Kaiser wandten und auch der General Wallenstein in seinem weit im Nordosten gelegenen Quartier darüber informiert wurde, dass es in dem verbliebenen Teil seines westfälischen Regiments nicht nur zu üblen, sondern auch weiterhin zu sehr mysteriösen Schandtaten kam. Er gebot den Befehlshabern vor Ort, den Dingen auf den Grund zu gehen und sowohl dem Marodieren als auch den seltsamen Vorkommnissen von Teufelserscheinungen und satansopfern Einhalt zu gebieten.
    Anna hatte in den beiden heißen Sommermonaten, in denen sie viel herumkam, einiges gelernt. Vor allem hatte sie einen Großteil ihrer Schüchternheit abgelegt, ja ablegen müssen, um sich in dieser harten Gesellschaft, in der sie sich nun befand, durchsetzen zu können. Zusammen mit Liese und dem alten Mergel war sie einige Male in die verlassenen Dörfer gegangen und hatte dort Waren für Lieses Wagen besorgt. Während die Bewohner der einfachen Bauernhäuser ängstlich in selbst gegrabenen Gruben oder im Wald saßen, holten sie all ihre wertvolle Habe aus den Häusern.
    »Wenn wir es nicht machen, dann machen es andere«, sagte Liese immer und schien sich mit dieser Weisheit selbst gut zureden zu wollen, denn es fiel auch ihr nicht leicht, die armen Leute zu berauben. Anna hatte sich anfangs gesträubt, doch schließlich hatte sie eingesehen, dass sich in diesen Zeiten jeder selbst der Nächste war. Denn auch die Bauern waren nicht zimperlich, wenn ihnen einer aus dem Heer in die Finger geriet. Einem jungen Soldaten von achtzehn Jahren hatten drei Dorfburschen an der straße aufgelauert, ihn in eine Hütte gelockt und bei lebendigem Leibe über einem Feuer geräuchert. Derlei Schauergeschichten konnte man viele hören, und oft wurden sie von der Wirklichkeit noch um ein Vielfaches übertroffen.
    Rache zog Rache nach sich, und so befand man sich schließlich in einem Teufelskreis, in welchem nicht mehr zwischen Gut und Böse zu unterscheiden war. Nicht anders erging es Anna, die sich mehr und mehr als Teil des Heeres fühlte und es empörend fand, wenn man ihnen in den Dörfern Unterschlupf und Nahrung verweigern wollte oder ihnen die Wege mit gefällten Bäumen versperrt wurden. Eine jede seite hatte ihre Argumente, und eine jede seite brachte Opfer, die einen mehr, die anderen weniger. Doch jeder für sich war überzeugt davon, dass sein Leiden am größten war.
    Diese Überzeugung verhalf Anna, sich in den leeren Bauernhäusern nach einiger Zeit zu nehmen, was sie brauchte. sie hatte Hunger, und dort gab es zu essen, also aß sie – so einfach war das. Zwar ließen sie nicht nur Essen mitgehen, sondern auch Wäsche und sämtliche Wertgegenstände, die sie finden konnten. Doch im Endeffekt diente alles dazu, sich wieder Essen zu beschaffen. Mit dieser Formel erleichterte Anna ihr Gewissen.
    Man musste dem Gespann um Liese Kroll zugutehalten, dass sie niemals einem Menschen unmittelbar ein körperliches Leid zufügten und zuweilen, wenn das Mitgefühl sie übermannte, sogar Geschenke hinterließen. Andere hingegen – und da wurde Anna so manches Mal unfreiwillig Zeugin – gingen anders vor. Da wurde nicht nur gestohlen, sondern zerstört, Felder wurden mit Absicht verwüstet, Häuser in Brand gesteckt, Männer gefoltert, Frauen geschändet und Kinder verschleppt. solche Szenen erinnerten Anna dann doch schmerzlich an das selbst Erlebte, und sie konnte die Menschen nicht verstehen, die nach einer solchen Heimsuchung wieder damit begannen, ihre Dörfer neu zu errichten. Es hatte doch keinen sinn, dachte sie dann, sie würden ohnehin wiederkommen.
    Wenige Tage, nachdem sich das Regiment geteilt hatte und man nun ziellos wie

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