Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
schreien.
Dabei wollte man doch nichts Böses. Wollte doch nur ein wenig schauen, was sie macht. Wollte sehen, wie es ihr geht. Warten, ob sie anfängt, das Lied zu singen. Man muss sie doch beschützen, die Frau. Niemand darf ihr etwas tun. Nicht, dass es ihr geht wie der Mama. Nicht, dass sie nicht mehr so schön singen kann, wie die Mama gesungen hat.
Aber schreien muss sie trotzdem nicht. Das ist doch viel zu laut, und das macht doch Angst.
Und das Ohr tut immer noch weh, ganz arg weh.
Oh, da hinten.
Schnell, man muss sich verbergen. Da hinten, da ist die andere Frau, die Hexe. Oh, da muss man sich verbergen vor der bösen Hexe. Sie kann zaubern. Sie ist gefährlich. Man muss die gute Frau von der Hexe fernhalten. sie will Böses, die Hexe, und die gute Frau weiß das nicht.
Nein, sie weiß das nicht, sie ist allein und weiß es nicht. Sie ist ganz, wie man selbst auch ist, sie ist allein. Doch sie weiß es nicht, noch nicht. Da ist man selbst ein bisschen schlauer, man weiß, dass alle anderen böse sind, alle sind böse, besonders die Hexen sind böse.
Da, da ist die Hexe. sie geht zur Kirche, hat auch den Schrei gehört. Schnell, schnell weg von ihr.
»Ach da seid ihr, ihr dummes Weibsvolk. Habt ja die ganze Gegend zusammengeschrien mit euerm blöden Gekreisch.«
Liese stand, eine Laterne in der Hand haltend, in der Eingangstür der Kirche und schaute zu, wie Anna der schwangeren Therese von der Leiter half.
»Wir haben ihn gesehen, Liese«, stammelte Anna, immer noch am ganzen Leib zitternd. »Er war hier und hatte einen Hund bei sich.«
»Er war hier, er war hier. Ja, ja, hier war er. Hier und nirgendwo anders. Nur hier, und wir haben ihn gesehen. Ihr könnt mir glauben. Ja, ja, endlich glauben, endlich glauben, endlich glauben, endlich glauben …«
»Ruhe!«, schrie Liese die sich erneut in einen Lachanfall hineinsteigernde Therese an. »Wer war hier? Doch nicht der satansbraten. Glaube ich nicht, dann würdet ihr nämlich jetzt nicht so frisch und rosig vor mir stehen, ihr blöden Hühner.«
»Er war hier. so kann nur er aussehen, und er hatte einen Hund dabei«, versuchte Anna zu erklären.
»Blabla, dummes Zeug, das war ein Dorfjunge, der sich hier versteckt hat, und der hatte halt seinen Köter mitgenommen. Lass dich doch von dem Geschwätz einer Durchgedrehten nicht ins Bockshorn jagen, Anna.«
»Wieso glaubst du mir nicht? Du weißt doch selbst, dass es ihn gibt. Warum willst du es nicht wahrhaben?«
»Kommt jetzt mit. Hier ist nichts mehr zu holen. Auf, nach Hause.« Mit diesem Befehl überging Liese Annas Frage und verlor den ganzen Weg über kein Wort mehr über den Zwischenfall. Als Anna dem alten Mergel alles erzählen wollte, wurde ihr erneut gekonnt das Wort abgeschnitten und das Gespräch auf ein anderes Thema gelenkt. Liese wollte nichts hören von dem Teufel, der sich in der Kirche versteckte und arme Trossfrauen in Angst und schrecken versetzte.
VII
Kommt, das müsst ihr euch anschauen! Das habe ich noch nie gesehen. Das ist entsetzlicher als alles Bisherige!«
Es war die dicke Adele, Näherin und Wäscherin, Mutter von zwölf Kindern und Ehefrau von mittlerweile fünf soldaten, die nach und nach gefallen, erfroren, erschlagen, verschwunden und im letzten Fall dem suff zum Opfer gefallen waren. Nun war Adele also erneut Witwe und gehörte mit zu den zwei Dutzend Trossleuten, die sich am selben Ort wie Liese und ihre Begleiter niedergelassen hatten. Sie war ganz rot im Gesicht vor Aufregung und sichtbar entsetzt.
»Adelchen, was ist denn in dich gefahren?«, fragte Liese in einem nur scheinbar interessierten Ton.
»Ich war gerade im Dorf. Wollte an den Brunnen, brauche doch Wasser zum Waschen, und hier gibt es weit und breit keinen Bach. Da habe ich es entdeckt. In der Kirche.«
»Was machst du in der Kirche, wenn du nur zum Brunnen willst?« Liese war offensichtlich vollkommen gleichgültig gegenüber dem, was die gute Adele zu berichten hatte.
»Was hast du gesehen?«, fragte stattdessen Anna, der Entsetzliches schwante.
»Ich habe sie nicht erkannt, weiß nicht, wer sie ist, aber es ist wieder eine Frau. Diesmal in der Kirche. Ich verstehe es nicht, dabei ist das Heer doch schon längst weitergezogen. Der muss doch beim Heer sein, der Teufel. Was macht er denn noch hier?«
»Hans, Haaaans! Wo steckst du denn schon wieder?«, rief Liese nach ihrem alten Begleiter.
Und nachdem Mergel in alles eingeweiht worden war, machte er sich zusammen mit Adele und Anna auf,
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