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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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und sie übte sich darin, nicht jeden Traum von einer besseren Zukunft als verwegene Sünde zu betrachten. Die Welt der Gedanken wurde in dieser langweiligen Kälte zu einem willkommenen Fluchtpunkt und schenkte Anna ein zweites, anderes Leben, ein Leben, das es für sie erträglich machte, all die durchgemachten und vielleicht noch bevorstehenden Ereignisse zu verkraften.
    Sie knüpfte sich im Laufe der Zeit einen eigenen, selbst erträumten Lebensweg, auf dem sie zusammen mit dem blonden Reiter und vier kleinen Kindern in einem sauberen Bauernhaus in den Bergen lebte. Durch ihren Garten floss ein kristallklares Bächlein, Mine lebte bei ihnen, und auch Hans Mergel war da. Er bewohnte ein eigenes, ordentliches Zimmerchen in ihrem Haus und half ihnen bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Arbeit. Alles war friedlich, und vor allem durfte Anna endlich, zum ersten Mal in ihrem Leben, einen Mann so lieben, wie sie es sich insgeheim immer schon gewünscht hatte.
    Mit der Zeit langweilte sie diese Idylle, und sie schuf sich kleine Stolpersteine. Sie ließ ihren Mann wieder in den Krieg ziehen, ließ sich um ihn bangen und erfreute sich an der Vorstellung, wie es wäre, ihn nach einigen Jahren wieder leidenschaftlich und gesund in die Arme schließen zu können, ihn zu küssen und ihn in einem Heuhaufen zu lieben. Doch auch diese Vorstellung war schließlich zu abgedroschen. Es mussten neue Träume erfunden werden, neue Herausforderungen und Abenteuer, die jedoch stets glimpflich endeten.
    Und so gewährte Anna auch ihm Einlass in ihre Gedankenwelt. Er war wieder da, er mordete erneut in ihrem Wohnort in den Bergen, ja, er mordete sogar in ihrem eigenen Haus. Zunächst versetzte er sie in Angst und Schrecken, doch dann überwältigte sie ihn, sie ganz allein. Anna Pippel aus Westfalen überführte den Mörder, und das in verschiedenen Variationen.
    Variation eins brachte sie selbst in allergrößte Gefahr. Schwer verletzt und aus mehreren Wunden blutend, schaffte sie es dennoch, den Mörder zu überwinden. Sie bespritzte ihn mit Weihwasser, und da er niemand anderes als der Teufel war, löste er sich daraufhin in einer Schwefelwolke auf und ward danach, zumindest in dieser Rolle als Frauenschlächter, nie wieder gesehen. Anna selbst musste sich wochenlang von ihren tiefen schnittwunden erholen. Ihre Familie war in tiefer Sorge, ihr Ehemann war blass vor Verzweiflung, und die Kinderchen weinten sich die Äuglein aus den kleinen Köpfen.
    In einer zweiten Version ließ Anna sich tatsächlich sterben. Zu verlockend war die Vorstellung, von geliebten Menschen betrauert zu werden. Die Rührung trieb sie sogar dazu, dass sie vor Selbstmitleid tatsächlich zu schluchzen begann. Jedoch ohne dass Mergel und Balthasar es bemerkten.
    Version drei war äußerst pikant und wurde dann doch von Anna abgebrochen, da sie nicht anders konnte, als sich für diese Gedanken zu schämen. Nachdem sie nämlich den Verdächtigen aufspürt und verfolgt, ihm über Berge und Täler vollkommen außer Atem hinterhergestürmt, ihn schließlich in einer Höhle überwältigt hatte und ihm gerade ein Messer in die Brust rammen wollte, wurde sie urplötzlich von einer unbändigen Lust überwältigt, diesen bösen, aber ihr nun vollkommen ausgelieferten Mann zu besitzen, ihm die Kleider vom Leibe zu reißen und ihn nach einem wilden, ja fast bestialischen Akt zu töten. Weitere Details ließ Anna nicht zu.
    Die vierte Geschichte war die der hingebungsvollen und treuen Ehefrau, die, hin- und hergerissen zwischen Liebe und Gewissen, sich für die Liebe entschied und ihrem Mann verzieh, dass er der Mörder war. Sie half ihm, nachdem sie ihn geschickt überführt und zur Rede gestellt hatte, alle verdächtigen Beweisstücke zu verbrennen, und floh mit ihm auf ein Schiff, das sie beide in die Neue Welt bringen sollte.
    Die langen Märsche und schlaflosen Nächte brachten es mit sich, dass Anna noch viele weitere Variationen ersann – manche kitschig, andere brutal und die meisten unausgereift. Oft verrannte sie sich in ihrer Fantasie und landete in einer Sackgasse, die es ihr unmöglich machte, wieder zu einem roten Faden zurückzukehren. In solchen Fällen brach sie ihren Traum ab und dachte an etwas anderes.
    In Anna Pippel ging eine Wandlung vor. Eine Wandlung, die mit dem Mord an ihrer Schwester Mine begonnen hatte, ihren Verlauf nahm durch die Bekanntschaft mit Liese Kroll, Hans Mergel und dem blonden Edelmann, und natürlich durch die meist schrecklichen

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