Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Frauenzimmern um Gisela Pfahlmann gebildet, wenn diese von den neuesten Geschichten über Maria Kühne erzählte. Anna hatte sich zurückgehalten, in Ruhe ihr Wasser geschöpft und war ausnahmsweise froh gewesen, nicht dazuzugehören. Man hatte sie wie immer nicht beachtet, und niemand hatte geahnt, was sie in die Wege geleitet hatte. Nämlich, dass man im ganzen Ort und auch in den Nachbardörfern haarklein erzählte, wie Maria Kühne mehrmals in der Woche nackt in der »Kahlen Linde«, jener berüchtigten Waldspelunke, getanzt habe.
Maria Kühne war nicht begeistert von diesen niemals bestätigten Lästereien gewesen, schien Anna jedoch nicht zu verdächtigen. Erhobenen Hauptes und weiterhin in Begleitung ihrer stets treuen Freundinnen, war sie noch einige Tage durchs Dorf gegangen, bis sie schließlich von einer bösen Lungenentzündung dahingerafft worden war.
Das kam von den tiefen Ausschnitten, die sie immer trug, oder von dem Nackttanzen, hatte man sich zugeraunt. Anna jedoch hatte heimlich befürchtet, dass ein nächtliches Bad im kühlen Frühjahr durchaus auch zu einer schrecklichen Erkältung führen konnte. Sie war damals zur Kirche gegangen und hatte widerwillig eine Kerze für die Verstorbene angezündet.
Während Annas inneren Ausflugs in ihre Vergangenheit war Hans Mergel in seiner Erzählung über die Herrscherhäuser von Hessen noch nicht viel weiter fortgeschritten.
»Na, wenn du selber nicht darauf kommst, werde ich es dir sagen. Kann man jemanden nicht ausstehen, dann macht man, unwillkürlich oder auch nicht, immer genau das Gegenteil von dem, was der andere macht. Genau das Gegenteil, liegt doch auf der Hand, oder?
Und so war es auch bei den Hessen. Die Darmstädter waren kaiserlich, und die Kasseler gehörten zur protestantischen Union. Und jetzt darfst du raten, wer von den beiden durch seine Wahl den Kürzeren gezogen hat. Na, was denkst du?«
»Weiß nicht«, antwortete Anna und fragte sich, ob sie wegen Maria Kühne in die Hölle kommen würde. War sie schuld an ihrem Tod gewesen? Nein, das war die strafe des Herrn für das unzüchtige Leben, welches die Kühne führte. Doch laut Liese gab es so etwas wie die Strafe des Herrn nicht. Liese hätte gesagt, dass die Kühne schlicht und einfach aus dem Grund gestorben sei, weil Anna sie ins kalte Wasser geworfen hatte. Und dann hätte Liese gesagt, dass die Kühne es auch nicht anders verdient hätte. Konnte ja niemand ahnen, dass sie gleich daran zugrundeging.
Anna musste nun, im Nachhinein, ein wenig über sich selbst staunen. Da steckte anscheinend doch etwas in ihr, das aufbegehrte, wenn es ihr zu bunt wurde. Und das damals, mit Friedrich und Maria, war ihr zu bunt geworden. Vielleicht hatte sie übertrieben gehandelt, aber sie hatte gehandelt, auch wenn sie diese Episode bislang gern aus ihrem Gedächtnis getilgt hatte.
»Na, die Protestanten haben natürlich die schlechteren Karten. Denn wenn zwei sich streiten, freut sich immer der Dritte, und das war der Tilly. Der brauchte nämlich gerade hier in diesem Teil des Landes eine Möglichkeit, seine Truppen zu versorgen. Und wo findet man die besser als in einem Gebiet, das gerade im Streit mit einem anderen liegt? Da kann man den schwarzen Peter wunderbar hin- und herschieben, kann die gefräßigen Soldaten als Beschützer, Befreier oder Kontrolleure darstellen und derweil alles kaputtmachen. Und deshalb wird in der Gegend, durch die wir in den nächsten Tagen ziehen, auch alles kaputt sein. Darauf kannst du dich gefasst machen. Hier hat der Tilly nämlich ganz schön gewütet in den letzten Jahren, das weiß ich genau, denn …«
»… du warst dabei«, führte Anna Mergels Satz zu Ende.
»Ich war dabei, so ist es. Im Darmstädter Gebiet sieht es wieder besser aus, glaube ich, bin mir aber nicht sicher. Werden wir ja sehen.«
Bis in den Abend hinein, ja bis sie über die Schwelle eines ärmlichen Gasthauses in der Nähe der Stadt Korbach traten, gelang es Hans Mergel nicht, eine Minute lang seinen Mund zu halten. Sosehr es Anna auf die Nerven ging, wertete sie diese Redseligkeiten doch als ein Zeichen der Genesung des alten Mannes.
Tatsächlich war die Gegend, durch die sie nun kamen, noch mehr verwüstet, als es das Paderborner Land gewesen war. Und es war ein Glück, dass dieser Gasthof noch nicht aufgegeben war. Er lag direkt an einer in Friedenszeiten viel befahrenen Straße, hier konnten Reisende ihre Pferde tränken, eine Schlafstatt und ein warmes Abendessen bekommen.
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