Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
tatsächlich zwei reglose Körper im dunklen Flur.
»Mausetot sind die. Waren keine Gäste von mir. Habe ich noch nie gesehen.«
»Ich kenne sie auch nicht«, log Anna die Frau an.
»Das würde ich jetzt auch behaupten.«
»Tust du ja auch«, meldete sich Mergel zu Wort, der sich ob des Lärms auch aus seiner Bettstatt bequemt hatte und in den Flur gehumpelt war.
»Was meinst du damit, Alter?«, wollte die Wirtin wissen.
»Du behauptest doch auch, dass du die nicht kennst. Woher sollen wir denn wissen, dass das wahr ist? Vielleicht hast du ihnen ja die Kehle durchgeschnitten und sie hier hingelegt. Kann man ja nicht wissen.«
Mergel war äußerst kühl und vollkommen Herr der mehr als beunruhigenden Lage. Denn immerhin standen sie dort vor den erstochenen Leichen der beiden Bettler, der angeblich alten Frau und ihres verkrüppelten Sohnes, denen sie gestern begegnet waren.
»Wer soll denn diese Sauerei wegwischen?«, schimpfte das Weib weiter.
»Na, du! Liegen doch bei dir im Haus! Und jetzt lass uns damit in Ruhe, sonst kann ich auch anders. Zahlende Gäste beschuldigen, wenn sie in ihren eigenen vier Wänden nicht für Ordnung sorgen kann. Na, das habe ich gern. Hätten ja auch wir sein können, die hier gemeuchelt werden.«
»Packt euren Kram und verschwindet, will euch nicht mehr hier sehen«, sprach die Wirtin, stieg über die Toten hinweg und verschwand im Erdgeschoss des Hauses.
»Nichts lieber als das«, murmelte Mergel und machte sich sogleich an die Vorbereitung der Abreise.
»Was ist da geschehen?«, flüsterte Anna dem packenden Alten zu, während Balthasar fasziniert die Leichen begutachtete.
»Die sind hinüber. Da hat uns einer die Arbeit abgenommen. Hatte mir schon gedacht, dass wir die nicht losgeworden sind. Wollten wohl an unsere sachen.«
»Und dann liegen sie plötzlich tot vor der Tür?«
»Es gibt nichts, was es nicht gibt. Frag lieber nicht, Anna, sondern sei froh, dass es so gekommen ist.«
Das war alles, was der Alte zu dem seltsamen Vorfall sagte. Lediglich als sie ihre Habe über die toten Körper hinwegtransportieren mussten, merkte er noch an: »Schau, Anna, die war tatsächlich ganz frisch, nicht mal dreißig, würde ich sagen. Und er hatte mehr als nur ein Bein. Tja, nützt denen jetzt auch nichts mehr.«
Auf dem Weitermarsch schlich sich Anna zu Balthasar und fragte ihn leise, ob Hans Mergel die ganze Nacht in seinem Bett gewesen sei. Der Junge nickte und antwortete, der Alte habe nicht einen Augenblick lang aufgehört zu schnarchen, und aufgestanden sei er erst recht nicht.
XV
Für Träume und Sehnsüchte war im früheren Leben der Anna Pippel kein Platz gewesen. Nicht etwa, weil sie keine Zeit zum Träumen gehabt hatte; nein, vielmehr, weil sie sich nicht einmal im Traum hätte vorstellen können, dass es für sie ein anderes Leben außerhalb der ihr bekannten und vertrauten Muster geben könnte. Manchmal war es geschehen, dass sich ihre Fantasie ein wenig verselbstständigt hatte – des Nachts, wenn sie allein in ihrem Bett lag und nicht einschlafen konnte. Doch schnell vertrieb sie diese oft sehr schönen Vorstellungen von einem anderen Leben, von der Liebe, einem steinernen Haus und vier gesunden Kinderchen. In Gedanken schimpfte sie sich dann selbst, drehte sich um und zerbrach sich lieber den Kopf darüber, ob die Butter, die sie am Tag zuvor gemacht hatte, nicht ranzig würde.
Es hatte keinen Sinn, sich Hirngespinste auszudenken, es war dumm und anmaßend, denn letztendlich ließ sich ohnehin nichts ändern. Es kam, wie es kommen sollte, und damit hieß es sich abzufinden. Des Morgens in der Frühe um vier wurde aufgestanden, und am Abend um zehn legte man sich schlafen, dazwischen wurde gearbeitet, gegessen, gebetet und sonstige notwendige Bedürfnisse verrichtet.
Manchmal, wenn sie das Unkraut im Gemüsegarten der Bäuerin gerupft oder die Holzdielen geschrubbt – wenn sie also eine einfache, aber langwierige Arbeit verrichtet hatte -, dann war es ebenfalls geschehen, dass sich erneut Tagträume einschlichen. still und heimlich hatten sie sich in Annas Kopf gestohlen und waren erst wieder verschwunden, als Anna sie bemerkt und gewaltsam verdrängt hatte.
Seit einigen Tagen, seitdem sie mit dem alten Hans Mergel und dem Jungen durch Schnee und Frost und über unwegsame Pfade in Richtung Süden zog, hatte Anna den Kampf gegen alle schönen Fantasien aufgegeben. Ja, sie hatte sich sogar verboten zu erröten, wenn sie einen aufregenden Gedanken hatte,
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