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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Ereignisse, die so viel Bewegung in ihr bis dahin trostloses, aber geregeltes Dasein gebracht hatten: die zahlreichen neuen Morde, die Hinrichtung der beiden ihr so nahestehenden Frauen, die Flucht mit dem alten Mann und dem unbekannten Knaben und die irritierenden Gefühle für diesen Fremden.
    Anna wollte in diese verworrenen Gedanken und wilden Eindrücke Ordnung bringen, sie sortieren und sie am liebsten zu einem neuen Leben zusammenfügen. Aber zu diesem neuen Leben fehlte ihr noch die Hauptperson: sie selbst. Anna musste sich selbst besser erforschen. Erfahren, was sie konnte und was sie nicht konnte. Wissen, was sie wollte und was sie nicht wollte. Und genau das tat sie nun, indem sie sich immer und immer wieder erlaubte zu denken und zu fühlen, was ihr gerade in den sinn kam.
    Es war schwierig, in der Gegend, in der sich die drei samt ihrem Eselsgespann aufhielten, an Essbares zu kommen. Und je tiefer sie in hessiches Gebiet kamen, desto mühseliger wurde es, für das tägliche Brot zu sorgen. Geld hatten sie genug, doch was nutzten ihnen ihre vielen Taler, wenn niemand sie annehmen wollte?
    Bald war alles Brot, alle Wurst und aller Käse aufgegessen, kein Grieß, keine Linsen, nichts war mehr da. Dafür hatten die drei noch reichlich Salz, Honig und Wein. Luxusgüter, die leider nicht satt machten.
    In der Stadt Korbach war kein Geschäft zu machen gewesen, und etwas anderes, als Geld zu stehlen, wollte Anna dem Jungen nicht erlauben. Sie fürchtete, dass er beim Stibitzen größerer Waren leichter ertappt werden könnte.
    Im Tausch mit einem kleinen Säckchen Salz erstand Hans Mergel ein ebenso kleines Säckchen Mehl – ein schlechtes Geschäft, aber immerhin konnte man einen Honigpfannkuchen backen. Beim Verzehr der Köstlichkeit in einer kleinen Waldhütte kam sogar eine erste vorweihnachtliche Stimmung auf. Ja, man sang Lieder, und Mergel erzählte im Schein des knisternden Feuers bei einem Becher Glühwein aus der Bibel. Zum Glück begann er nicht bei Adam und Eva, sondern bei der Empfängnis Mariä und endete, nachdem er dem wahren Inhalt der Heiligen Schrift noch das eine oder andere spannende Detail hinzugefügt hatte, beim Kindermord von Bethlehem und der Flucht nach Ägypten.
    Es war der erste wirklich schöne Abend seit Beginn ihres Marsches, und alle drei fühlten sich so wohl, dass nach den Mergelschen Bibelstunden auch Balthasar endlich aus seinem erst kurzen, aber sehr bewegten Leben zu erzählen begann.
    Interessiert lauschten die beiden Erwachsenen dem, was der Junge zu berichten hatte.
    Balthasar war nun etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt, ganz genau wusste er es nicht. Die ersten Jahre seiner Kindheit hatte er unbeschwert in der schönen Stadt Heidelberg verbracht. Sein Vater war Großgärtner und Blumenhändler, er hatte ein großes Geschäft und bezog die schönsten Gewächse von überallher. Aus den Niederlanden und sogar aus Übersee kamen Zwiebeln, Samen und Ableger, welche er mit Erfolg weiterzüchtete. Sein Ruf war so gut, dass er sogar den Hof des Kurfürsten Friedrich beliefern durfte. Ja, zur Hochzeit Friedrichs mit der englischen Königstochter habe der Vater sogar Girlanden aus frischen Rosen gefertigt.
    An all diese Details konnte Balthasar sich wunderbar erinnern, doch eines war ihm entfallen – sein Nachname. Er kannte ihn nicht, und sosehr er sich auch anstrengte, wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen, wie der Name seiner Familie lautete.
    Eines jedoch blieb ihm ewig in Erinnerung: das wunderschöne große Haus, welches er mit seinen Eltern, der Großmutter und vier weiteren Geschwistern bewohnte. Seine älteste schwester war bestimmt zehn Jahre älter als er und hieß Magdalena, sie war sehr schön und glich der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Die zweite schwester, Luise, war weniger hübsch, aber dafür konnte sie wunderbar herumtoben und fluchen wie ein Pferdekutscher. Dann gab es den Bruder Gregor, er war um vier Jahre älter als Balthasar und nicht ganz richtig geraten. Gregor sah ein wenig seltsam aus, hatte einen großen Kopf mit schlitzförmigen Äuglein und machte nie seinen Mund zu. Er konnte nicht gut sprechen, war aber stets gut gelaunt, erfreute sich an jeder Kleinigkeit und lachte den ganzen Tag. Balthasar mochte ihn sehr, und auch die Mutter hatte Gregor außerordentlich lieb. Und dann war da noch die kleine Marianne, Balthasars Zwillingsschwester. Auch sie hatte rote Haare und sommersprossen. Nie wich sie ihm von der seite. Was er

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