Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Nun waren die Zeiten anders. Zu essen gab es nichts mehr, Zimmer jedoch wurden weiterhin vergeben. Aber die Wirtin wollte kein Geld, sie verlangte Naturalien. Und so mussten die drei zwei große Würste und einen Käse berappen, um für eine Nacht in einem unbeheizten Zimmer schlafen zu dürfen. Immerhin hatten sie eine Unterkunft im Haus selbst ergattern können, denn selbiges war übervölkert mit Flüchtlingen und anderen armen Reisenden, die jedoch aus Mangel an Habseligkeiten nur in der stinkigen Gaststube oder im Pferdestall schlafen durften.
Anna, Mergel und Balthasar zogen sich schnell in ihre kleine, dunkle Kammer zurück. Keiner von ihnen verspürte Lust, sich unten in die stickige Taverne zu begeben, wo es nach sämtlichen menschlichen Ausdünstungen roch, was nur den einen Vorteil hatte, dass auf diese Weise eine natürliche Wärme erzeugt wurde, von der die Temperaturen in dieser Dachkammer unendlich weit entfernt lagen.
Anna machte sich auf einen Abend voller Mergelscher Erzählungen gefasst. Doch dazu kam es nicht, da der Alte, müde von dem anstrengenden Tag, den er, ununterbrochen berichtend im Eselskarren sitzend, verbracht hatte, zeitig einschlief. Anna saß noch ein wenig da und lauschte dem sanften Wind, der an diesem Abend wehte und leise, Zug um Zug, über das schneebedeckte Dach wehte. Es war ein sanftes Geräusch, das sie mühsam aus dem von unten rührenden Gaststubenlärm herausfilterte. Gegen Mitternacht schlief auch sie ein. Balthasar hingegen war noch wach.
»Anna, Anna!«
Zunächst glaubte sie, die Stimme des Jungen im Traum zu vernehmen, doch als sie die Augen öffnete, sah sie Balthasars Gesicht direkt vor sich. Er rüttelte an Annas schulter.
»Was ist?«
Ihr schwante nichts Gutes, fast panisch sprang sie von ihrem Lager und sah sich im dunklen Raum um. War er hier? Löste er sein durch die sanduhr gegebenes Versprechen ein?
»Da war jemand an unserer Tür. Ich habe Stimmen gehört und dann ein leises stöhnen und Gurgeln. Soll ich nachschauen?«
»Nein. Lass uns erst einmal lauschen«, flüsterte Anna. Vorsichtig schlich sie sich durch den Raum in Richtung Tür. Immer wieder stolperte sie über die Säcke und Kisten, ihr ganzes Hab und Gut, welches sie aus Schutz vor Dieben mit in ihre Kammer genommen hatten. Bei jedem Geräusch, das sie selbst erzeugte, blieb ihr fast das Herz stehen. Doch offensichtlich – und davon überzeugte sie sich selbst, als sie das Ohr an die morsche Holztür hielt – war dort draußen rein gar nichts. Kein Ton war zu vernehmen – Totenstille.
»Vielleicht hast du nur geträumt, Balthasar.«
»Wie könnte ich träumen, wenn ich gar nicht schlafe? Ich habe es genau gehört, und wenn du es mir endlich erlaubst, sehe ich nach, was es war.«
»Nein, wir werden warten, bis es wieder hell ist. Es ist ja nichts passiert. Alles ist noch da, und der alte Mergel schnarcht auch weiterhin friedlich in seiner Ecke. Leg dich wieder hin.«
Beide konnten sie im Verlauf der weiteren Nacht kein Auge zutun, stumm starrten sie die Decke an. Im Schein einer kleinen Laterne verfolgte Balthasar stundenlang den Kampf einer Schabe, die sich in einem riesigen Spinnennetz verfangen hatte und schließlich ganz gemächlich eingewickelt und gefressen wurde. Anna zählte siebenundsechzigmal bis hundert, danach verlor sie die Lust an den Zahlen und lauschte wieder in die Dunkelheit.
»Ach, du liebe Güte, was ist das für eine Schweinerei? … Augustin! Augustin! Komm sofort her, das musst du dir ansehen. Ich sag dir, mit Gesindel macht man keine Geschäfte, solche lass ich nie mehr ins Haus.«
Es war die hysterische Stimme der Wirtin, die den Anbruch des Morgens verkündete. Als Anna aufstand und die Fensterläden öffnete, hatte tatsächlich bereits die Dämmerung eingesetzt. Die ganze Landschaft war von einem wunderschönen weißen Teppich bedeckt. Unschuldig sah er aus, rein und unschuldig. Anna gefiel dieser Anblick. Dann klopfte es an der Tür.
Balthasar ging hin und öffnete.
»Habt ihr was damit zu tun?« Die Wirtin stand, die Arme in den breiten Hüften verschränkt, vor ihnen.
»Womit?«, fragte Anna.
»Na, damit«, antwortete die Frau und zeigte in den Flur. Anna rechnete damit, dass jemand einen Krug Schnaps zerbrochen und die Scherben liegen gelassen hatte, vielleicht hatte auch jemand seine große Notdurft auf dem Holzboden verrichtet. Doch dann erblickte sie hinter der wuchtigen Gestalt der Hausherrin das, was diese so erboste.
Da lagen doch
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