Des Todes Liebste Beute
Ärzte »dauerhaft vegetativen Zustand« nannten, hatte sie endlich ihren Frieden gefunden. Es war an der Zeit, dass er sein Leben weiterlebte. Der erste Schritt würde sein, Kristen Mayhew dazu zu bringen, dass sie seinen Vornamen aussprach. Dann würde man weitersehen.
Kristen beobachtete vom Wohnzimmerfenster aus, wie Reagans Rücklichter im Dunkel der Nacht verschwanden. Sie war beunruhigt.
Und das muss ich ja wohl auch sein,
dachte sie, während sie voller Unbehagen die Straße entlang blickte. Sie hätte gerne gewusst, ob der Mann, der fünf Menschen getötet hatte, sie im Augenblick beobachtete. Aber es war niemand zu sehen, und die Fenster ihrer Nachbarn waren dunkel. Dennoch blieb das Gefühl der Unruhe, und Kristen war nicht sicher, wie viel davon auf den Mann zurückzuführen war, der sich ihr ergebener Diener nannte, und wie viel auf den anderen, der sie nicht schutzlos in einem dunklen Korridor zurücklassen wollte.
Langsam ging sie in ihr Schlafzimmer und setzte sich an ihren Schminktisch. Was den Punkt Männer betraf, so war Abe Reagan wirklich ein ansehnliches Exemplar. Groß, dunkelhaarig, attraktiv. Sie war nicht so naiv, dass sie nicht das Interesse bemerkt hätte, das in seinen Augen glomm. Und sie war ehrlich genug, um zuzugeben, dass auch sie ihn interessant fand. Routiniert zog sie die Haarnadeln heraus und ließ sie auf ein kleines Plastiktablett fallen, während sie ihr Abbild im Spiegel betrachtete. Sie war keine schöne Frau. Das wusste sie. Aber sie war auch nicht absolut unattraktiv. Manchmal sahen Männer sie mit diesem besonderen Blick an. Sie jedoch erwiderte diesen Blick nie, noch tat sie sonst etwas, das als Ermunterung missverstanden werden konnte.
Sie hatte den Klatsch gehört. Man nannte sie die »Eiskönigin«. Und im Grunde stimmte es. Zumindest an der Oberfläche, und das war schließlich alles, was sie zu zeigen gewillt war.
Trotzdem war sie nicht so eisig, dass sie die Männer, die die Mühe wert waren, nicht bemerkte. Denn dass es sie gab, stand fest. Und sie war auch nicht so blind, dass sie in Abe Reagan nicht einen solchen Mann erkannt hätte. Doch selbst diese Kategorie Männer wollte in der Regel mehr, als sie zu geben bereit war. Und das bezog sich auf viele Bereiche.
Sie öffnete die Schublade in dem Tischchen und holte ein kleines Album heraus. Es war wahrscheinlich ihr größter Schatz, auch wenn es gleichzeitig Leid und Kummer repräsentierte. Sie blätterte von Seite zu Seite und betrachtete die Fotos, doch dann schlug sie das kleine Buch wie immer resolut zu und legte es zurück in die Schublade. Sie musste schlafen. Abe Reagan würde sie morgen früh um sechs abholen, damit sie dorthin fuhren, wo sie vermutlich Anthony Ramey finden würde.
Sie wünschte, es hätte ihr Leid getan, dass er tot war, aber dem war nicht so.
Anthony Ramey war ein Vergewaltiger gewesen. Seine Opfer würden niemals wieder wie früher sein.
Sie musste es wissen.
Donnerstag, 19. Februar, 0.30 Uhr
Zoe Richardson verriegelte ihre Haustür, nachdem sie ihren Liebhaber nach Hause zu seiner Frau geschickt hatte. Sie schaltete den Fernseher ein, um sich die Zehn-Uhr-Nachrichten anzusehen, die sie aufgenommen hatte, weil sie zu dem Zeitpunkt anderweitig beschäftigt gewesen war. Sie streckte sich genüsslich und dachte einmal mehr, was für eine angenehme Überraschung der Mann doch war. Sie hatte ihn wegen seiner Position und der Verbindungen, die er hatte, verführt, aber sie wollte verdammt sein, wenn er sich nicht als richtiges kleines Wunder im Bett herausgestellt hätte. Sie musste ihm niemals etwas vorspielen, kein einziges Mal.
Aber jetzt war, wenigstens vorübergehend, der Spaß vorbei. Sie hatte zu tun. Sie spulte das Band zurück, bis der hemdsärmelige Anchorman der heutigen Ausgabe erschien, und ihre gute Laune verschlechterte sich augenblicklich. Sie hasste es, diese Idioten auf dem Platz zu sehen, der eigentlich ihr gebührte. Dabei hatte sie ihr Lehrgeld längst bezahlt, hatte jede jämmerliche Human-Interest-Geschichte, die man ihr zugeworfen hatte, aufgegriffen. Aber im Grunde genommen zählte das nicht mehr. Mit ihren neuen Verbindungen war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die richtige Story erwischte und ihr Gesicht in jedem Fernseher quer durch die USA zu sehen sein würde. Und wenn sie erst einmal dort war, dann würde sie so schnell auch nicht wieder abtreten.
Ahh,
dachte sie,
da haben wir es ja.
Ihr eigenes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Sie
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