Des Todes Liebste Beute
einfach nicht zu ihnen. In der ersten Woche, nachdem ich sie adoptiert hatte, haben sie drei Teppiche zerfleddert.«
»Nun, wenn Sie sich mal einen Hund zulegen sollten, könnten Sie ihn Zerberus nennen.«
Wieder musste sie lächeln. Er wollte sie aufmuntern, und für den Versuch war sie ihm dankbar. »Der dreiköpfige Wächter der Unterwelt. Auch schön. Hätten Sie Lust auf eine Tasse Tee? Ich trinke abends oft welchen, wenn ich stark angespannt nach Hause komme. Meistens hilft er mir, mich ein wenig zu beruhigen, sodass ich schlafen kann.«
»Nein, danke. Ich muss nach Hause und noch ein paar Stunden die Augen zumachen. Ich will bei Tagesanbruch mit Mia und Jack zum ersten Fundort fahren.«
Kristens Hand verharrte über der Teekanne. »Und welchen nehmen Sie sich zuerst vor?«
Er hob die breiten Schultern. »Ramey. Wir nehmen dieselbe Reihenfolge wie er.«
Kristen schenkte sich mit zitternden Händen Tee ein und verzog das Gesicht, als sich die heiße Flüssigkeit über den Rand ergoss. »Scheint vernünftig.« Sie schaute auf und sah, dass er sie mit derselben Intensität musterte, mit der er sie schon in Spinellis Büro angesehen hatte. Die plötzliche Erkenntnis, dass er sich um sie sorgte, traf sie wie ein Schlag, und sie richtete sich kerzengerade auf. Sie war nicht schwach! Sie mochte alles Mögliche sein, aber schwach war sie garantiert nicht. »Ich würde gerne dabei sein.«
Er dachte einen Moment nach. »Klingt vernünftig«, wiederholte er ihre Worte. »Sofern Sie passende Schuhe tragen.«
Sie blickte in ihren Tee, dann wieder zu ihm. »Ich habe kein Auto.«
»Ich hole Sie morgen früh um sechs Uhr ab.«
Der Schlagabtausch war vorbei, und sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. »Danke. Ich besorge mir morgen einen Mietwagen, aber –«
»Schon okay, Kristen, das macht mir nichts aus.«
Das entsprach der Wahrheit, sie konnte es sehen. Und genau das machte ihr Sorgen. »Tja, dann …«
Er drückte sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte. »Dann gehe ich jetzt mal.« An der Küchentür blieb er noch einmal stehen. »Sie haben gute Arbeit geleistet. Ihr Haus sieht fantastisch aus.«
Ihre Hände lagen um den dampfenden Becher und nahmen die Wärme auf. Wenn ihr nur nicht so kalt gewesen wäre. »Vielen Dank. Und danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben. Und für das Essen.«
Unentschlossen blieb er an der Tür stehen. »Und Sie wollen wirklich hier bleiben?«
Sie lächelte mit weit mehr Zuversicht, als sie tatsächlich empfand. »Und ob. Gehen Sie endlich schlafen. Bis sechs Uhr morgens ist es nicht mehr lange.«
Abe bedachte sie mit einem letzten, zweifelnden Blick, dann verließ er ihr Haus und ging zu seinem Wagen. Durch die dünnen Vorhänge ihrer Küche beobachtete er, wie sie die Tür abschloss und die Alarmanlage einstellte. Einen Moment lang erwog er, zurückzukehren, sie in sein Auto zu zerren und in ein Hotel zu fahren, aber er wusste, dass es nicht seine Sache war. Kristen Mayhew war eine erwachsene Frau und konnte eigene Entscheidungen treffen.
Er hatte den Wagen bereits gestartet und auf die Straße gesetzt, als ihm auffiel, dass sie ihn kein einziges Mal Detective genannt hatte. Oder Abe. Sie hatten sich beinahe eine Stunde lang unterhalten, ohne dass sie ihn auf irgendeine Art angesprochen hatte. Nun, im Grunde sollte ihm das egal sein. Im Grunde sollte
sie
ihm egal sein. Sie war hübsch, das stimmte, aber er hatte schon viele hübsche Frauen getroffen, seit er nicht mehr undercover operierte. Fünf Jahre lang hatte er sich keinerlei Beziehungen erlaubt, fünf Jahre lang hatte er immer wieder heimlich wie ein Dieb in der Nacht seine Geschwister, seine Eltern und Debra besucht, und immer hatte er dabei Angst haben müssen, dass man ihm folgte und dass er sie durch seinen Besuch allein in Gefahr gebracht hatte.
Doch nun bestand kein Grund mehr für Geheimhaltung; seine daraus resultierende Isolation war vorbei. Nun bewegte er sich in Kreisen, in denen die Menschen berufliche und private Beziehungen entwickeln durften. Da war es ganz normal, dass er sozusagen am allerersten Tag in Versuchung geführt wurde. Und es wäre unnatürlich gewesen, Kristen Mayhew nicht als Versuchung einzustufen. Sie war jetzt noch genauso schön wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte.
Aber anders als beim ersten Mal durfte er sich nun erlauben, ohne schlechtes Gewissen Begierde zu empfinden. Debra war fort. Endgültig. Nach fünf Jahren in einem Zustand, den die
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