Des Todes Liebste Beute
hatte keinen Zweck, sich nach etwas zu sehnen, das man nicht haben konnte. Wenn sie Reagan jemals nah genug an sich heranließe, würde er sehr schnell Reißaus nehmen und sich nie wieder blicken lassen. Es ging nicht – basta.
Aber verflixt noch mal. Er sah so gut aus am Strand.
Ärgerlich seufzend schüttelte sie den Kopf.
Sieh’s endlich ein, Kristen. Du wirst nie jemanden haben. Du schaffst es ja nicht einmal, Urlaub zu machen.
Resolut nahm sie den Hörer auf. »Lois, schick mir das Mädchen und den Vater herein.«
Freitag, 20. Februar, 16.30 Uhr
Die Mütze mit den seitlichen Klappen verbarg sein Gesicht, und bei dem eisigen Wind dachte sich niemand etwas dabei. Aber wenn es ihm gelang, die Polizei weiterhin auszutricksen und seine Arbeit bis in den Frühling hinein zu tun, dann würde er ein wenig kreativer sein müssen, falls er unentdeckt herumlaufen wollte.
Der Gedanke entlockte ihm ein Lächeln, genau wie die braune Kiste, die nun auf Kristens Veranda stand. Der Junge hatte es gut gemacht. Er konnte sich vorstellen, dass die Überwachungskameras, die rund um das Haus installiert worden waren, das Gesicht des Jungen deutlich aufgenommen hatten. Ihn aufzuspüren würde Reagan und Mitchell ein oder zwei Tage beschäftigen, aber wenn sie ihn gefunden hatten, würde der Bursche nicht in der Lage sein, mehr als eine sehr allgemeine Beschreibung abzugeben. Jede Phantomzeichnung, die die Polizei anfertigen ließe, würde auf mindestens zehn Prozent aller Männer in Chicago zutreffen.
Die Nachrichten würden die Sache aufgreifen, und der Junge würde in der Folge mit einem Serienkiller – mit dem »Rächer«, wie die Medien ihn inzwischen nannten – in Verbindung gebracht werden. Er hatte ihn sorgfältig ausgesucht. Falls dem Jungen daraus Schwierigkeiten entstanden, dann hatte er es verdient.
Ohne das Tempo zu drosseln, fuhr er Kristens Straße entlang und hielt brav an einem Stoppschild. Er setzte den Blinker nach links. Kein noch so kleines Vergehen, an das sich irgendjemand erinnern könnte, nichts, was den weißen Lieferwagen, der heute das Logo einer Elektrofirma trug, im Gedächtnis eines Passanten festsetzen würde. Er fand, dass der Cartoon, der eine Steckdose als fröhliches Gesicht darstellte, eine hübsche Idee gewesen war.
Leah hätte es jedenfalls gefallen.
Freitag, 20. Februar, 18.50 Uhr
Spinelli legte den Kopf zurück und atmete geräuschvoll aus. Er war müde, so müde. Keiner von ihnen hatte einen tollen Tag gehabt, aber Spinellis war öffentlich schlecht gewesen. »Also haben wir jetzt Listen von Scharfschützen, Jägern – Enten und Hirsche –, Floristen und Steinmetzen.« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Klingt wie eine Aufzählung aus einem bescheuerten Kinderreim.«
Frustriert betrachtete Abe die Zettel, die den Tisch im Konferenzraum bedeckten. Es gab verflucht viele Jäger im Großraumgebiet Chicago, und sie hatten erst eine Hand voll Munitionshändler abgeklappert. »Wir brauchen Tage, bis wir das alles durchgeackert haben, selbst wenn wir mehr Leute zur Verfügung hätten. Können die Jungs von der Computerabteilung uns vielleicht helfen? Vielleicht die Namen einscannen und nach Verbindungen suchen?«
Mia musterte Spinelli. »Ich habe heute jemanden sagen hören, wir würden durch die Chicagoer Polizei und ihre Mittel voll unterstützt.«
Spinelli zuckte die Achseln. »Ich werde sie fragen. Man sollte doch meinen, dass die mit ihren tollen Computern irgendwas erreichen können.«
Abe erhob sich vom Tisch und trat zu der Tafel, an die sie weiterhin Indizien hefteten, die weiterhin nicht zusammenzubringen waren. »Wir haben alle Alibis der ursprünglichen Opfer für die Stunden, in denen die neuen Opfer vermutlich verschwunden sind, überprüft. Die einzigen, die ich wackelig nennen würde, sind die von Sylvia Whitman und Paulo Siempres, dem Stiefvater von einem der erschossenen Kinder.«
»Denken Sie, dass einer von beiden etwas damit zu tun hat?«
Abe schüttelte den Kopf. »Siempres jedenfalls nicht. Er hätte nicht die Kraft gehabt, Ramey zu strangulieren. Sein rechter Arm ist verkrüppelt. Polio in der Kindheit.«
»Und Mrs. Whitman?«
»Auch nicht.« Mia hievte die Beine hoch und legte sie mit überkreuzten Knöcheln auf die Tischecke. »Sie nimmt den Mund ziemlich voll, aber ich glaube nicht, dass sie dazu in der Lage gewesen wäre. Es kann sein, dass sie jemanden bezahlt hat, aber falls ja, dann aus einer Geldquelle, von der niemand
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