Des Todes Liebste Beute
bis zum Becken reichte. »Mein Gott.« Ein Gedanke durchfuhr sie, und ihr entsetzter Blick huschte zu den Milchkisten, dann zurück zu Reagans Augen. »Sie denken doch nicht …« Sie ließ die Frage ins Leere laufen, als sein Gesicht sich zu einer Grimasse verzog.
»Was – dass die Teile, die ihm offensichtlich im Körper fehlen, in diesen Kisten sind? Nun, Frau Anwältin, das werden wir bald genug herausfinden. Kennen Sie diesen Typen?«
Sie blinzelte, dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist zu dunkel hier. Vielleicht, wenn ich mehr Licht hätte.« Sie schaute zu ihm auf, fühlte sich plötzlich dumm und nutzlos und fand das Gefühl schrecklich. »Tut mir Leid.«
»Schon gut, Kristen. Wir werden sehen.« Er klappte sein Handy auf und gab eine Nummer ein. »Reagan hier«, begann er. »Wir haben hier einen …«
»Einen Vorfall«, half Kristen aus und spürte, wie sich ein hysterisches Lachen in ihrer Kehle bildete. Sie würgte es herunter. Jemand hatte mehrere Morde begangen und die Beweise dafür in den
Kofferraum ihres Wagens
gepackt. Möglicherweise befanden sich Herz und Milz und Leber im
Kofferraum ihres Wagens.
Sie war durch die Gegend gefahren, ohne zu wissen, dass sich ein kompletter Gruselfilm
im Kofferraum ihres Wagens
befand. Sie holte tief Luft und war dankbar über den Gestank von Altöl und Abgasen. Das war entschieden besser als der Geruch verwesender menschlicher Organe.
»Einen Vorfall«, wiederholte Abe gerade. »Ich bin hier mit Kristen Mayhew, der Staatsanwältin. Wir haben in ihrem Kofferraum etwas gefunden, was auf einen Mehrfachmord hinweist … Parkdeck zwei in der Garage direkt neben dem Gerichtsgebäude. Versiegeln Sie die Ausgänge für den Fall, dass der Täter hier noch irgendwo herumläuft.« Er lauschte, dann sah er auf sie hinab, und seine Augen, die sie anfangs für kalt gehalten hatte, flammten in plötzlichem Interesse auf. Sein Blick glitt zu ihren Händen, die noch immer seinen Arm umklammert hielten. Hastig ließ sie los, trat einen Schritt zurück und schaute zur Seite, als er fortfuhr: »Okay, ich sag’s ihr … Ja, ich warte hier.« Er klappte das Handy zu und ließ es wieder in die Tasche gleiten. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie nickte und hoffte, dass ihr Gesicht nur einen Zartrosa- Schimmer angenommen hatte und nicht tiefrot leuchtete, zumal sich die Farbe, wie sie genau wusste, mit ihrer Haarfarbe biss. »Mir was sagen?«, fragte sie und versuchte, möglichst würdevoll zu wirken. Sie wandte sich wieder ihm zu, und die Nonchalance, zu der sie sich zu zwingen versucht hatte, war mit einem Schlag wie weggeblasen.
Er starrte sie an, der Blick intensiv, das Gesicht angespannt. Ein Kribbeln begann in ihrer Brust und breitete sich bis in ihre Extremitäten aus, und zu ihrem Entsetzen musste sie die Hände zu Fäusten ballen, um sich selbst daran zu hindern, seinen Arm erneut zu packen.
»Spinelli meinte, Sie müssten sich für die Polizei nicht solche Mühe geben«, sagte er trocken. »Blumen und Pralinen hätten vollkommen ausgereicht.« Er hatte die Augen nicht abgewandt, und sie spürte den Blick wie eine Berührung. Das Timbre seiner tiefen, sonoren Stimme verstärkte den Eindruck von Fingern, die über ihre Haut glitten, und sie fragte sich plötzlich, wie es wohl sein würde, wenn er es tatsächlich tat. Doch dann wandte er sich wieder ihrem Kofferraum und den zwei verbleibenden Kisten zu und zerstörte damit die beinahe greifbare Verbindung, die einen kurzen Moment zwischen ihnen beiden bestanden hatte. Kristen schauderte wieder. »Er schickt uns die Spurensicherung runter. Die Sache hier kann eine Weile dauern.«
Mittwoch, 18. Februar, 21.00 Uhr
Endlich.
Er saß in seinem Wagen und beobachtete aus sicherer Entfernung die Horde von Uniformierten, die das Parkhaus mit unruhiger Geschäftigkeit füllten. Lichter zuckten durch die Dunkelheit, und überall war gelbes Absperrband gespannt. Entweder war in dieser Garage irgendein politischer Würdenträger ermordet worden, oder Kristen Mayhew hatte endlich in ihren Kofferraum geblickt. Er war ziemlich sicher, dass er die erste Möglichkeit außer Acht lassen konnte.
Er war in der vergangenen Woche recht beschäftigt gewesen. Jetzt hatte er schon sechs. Sechs erledigt, noch eine Million offen.
Den ersten hatte er ganz still und leise und schmerzlos beseitigt.
Und festgestellt, dass es nicht annähernd genug war. Es war nicht genug, dass er der Welt diesen Dienst erwiesen hatte. Dass er den Opfern
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