Des Todes Liebste Beute
»›Notiz an den Hausmeister‹«, wiederholte er. »Und mein persönlicher Favorit: ›Jetzt schwing deinen Hintern bloß nach Hause.‹«
Kristens Wangen wurden heiß. »Warum fahren wir denn nicht?«, fauchte sie, verdrehte dann jedoch die Augen. Keiner von beiden hatte auf einen Knopf gedrückt. Sie hämmerte auf den Schalter für die zweite Parkebene, und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
Er nickte zufrieden. »Und jetzt weiß ich auch noch, wo Sie Ihren Wagen geparkt haben.«
Er hatte Recht.
Schon wied
er. Sie hatte alles außer Acht gelassen, was sie zum Thema Selbstschutz gelernt hatte. Sie rieb sich ihre pochenden Schläfen. »Okay, ich habe mich wie eine dumme Kuh verhalten, und Sie sind mein Retter. Zufrieden,
Sir?
«
Seine Mundwinkel verzogen sich aufwärts, und der Anblick raubte ihr den Atem. Ein simples Lächeln, und sein Gesicht wirkte plötzlich nicht mehr verzweifelt, sondern … verheerend. Auf ihren Gemütszustand. Ihr armes, geschundenes Herz setzte einen Schlag aus, während ihr Verstand gleichzeitig über diese Regung staunte. Sie reagierte nicht auf Männer, jedenfalls nicht auf
diese
Art. Es war nicht so, dass sie Männer nicht mochte oder nicht beachtete oder nicht dann und wann heimlich bewunderte, wenn ihr ein appetitliches Exemplar über den Weg lief. Und er war ganz entschieden ein appetitliches Exemplar. Groß, breitschultrig. Das gute Aussehen eines Filmstars. Natürlich reagierte sie auf ihn. Schließlich war sie auch nur ein Mensch. Wenn auch einer mit leicht angeknackster Seele. Die Erinnerung an ein einzelnes Wort durchdrang ihr Bewusstsein. Nein, von
leicht
angeknackst konnte keine Rede sein.
»Nein, Ma’am«, sagte er. »Ich hatte wirklich nicht vor, mich anzuschleichen und Sie zu erschrecken. Sie waren nur so versunken in Ihr Selbstgespräch, dass ich Sie nicht unterbrechen wollte.«
Wieder wurde sie rot. »Reden Sie nie mit sich selbst?«
Sein Lächeln verschwand, und der Ausdruck der Trostlosigkeit kehrte in seine Augen zurück. Plötzlich hatte Kristen ein schlechtes Gewissen, dass sie gefragt hatte. »Manchmal schon«, murmelte er.
Der Aufzug machte erneut
Pling,
und die Türen glitten auf. Sie befanden sich in der finsteren Garage, in der es nach Abgasen und Altöl roch. Dieses Mal war seine »Nach-Ihnen«-Geste weit zurückhaltender, und Kristen wusste nicht, wie sie das Gespräch beenden sollte.
»Hören Sie, es tut mir Leid, dass ich Sie beinahe mit Pfeffer besprüht hätte. Ich gebe es zu – ich hätte wirklich besser aufpassen müssen.«
Er musterte sie einen Moment lang. »Sie sind müde. Man neigt dazu, unaufmerksam zu werden, wenn man müde ist.«
Sie lächelte reumütig. »So deutlich sieht man es mir an?«
Er nickte. »Ja. Und jetzt bringe ich Sie zu Ihrem Wagen. Nur zu meiner eigenen Beruhigung.«
Kristen verengte die Augen. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Ich dachte schon, Sie würden nie danach fragen. Ganz schön vertrauensselig, mit fremden Männern in leeren Fahrstühlen zu plaudern. Machen Sie das immer so?«
Nein, das tat sie definitiv nicht. Und sie hatte allen Grund dazu, es nicht zu tun. »Normalerweise sprühe ich erst Pfeffer und stelle die Fragen später«, fauchte sie.
Er lächelte wieder, diesmal jedoch ein wenig traurig. »Dann habe ich wohl doppeltes Glück gehabt. Ich bin Abe Reagan.«
Kristen krauste die Stirn. »Ich kenne Sie.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hätte mich an Sie erinnert.«
»Wieso?«
»Weil ich nie ein Gesicht vergesse.«
Er hatte das sehr nüchtern gesagt, ohne Raum für einen kleinen Flirt zu lassen, und Kristen stellte fest, dass sie darüber enttäuscht war.
»Ich muss jetzt nach Hause.« Sie drehte sich um und fasste den Schlüssel so, dass er zwischen zwei Fingern herausragte, wie sie es gelernt hatte. Mit hoch erhobenem Kopf ging sie durch das Parkhaus und lauschte auf seine Schritte hinter ihr. Als sie bei ihrem betagten Toyota anhielt, blieb auch er stehen. Sie wandte sich um und sah ihn an. »Vielen Dank. Sie können jetzt gehen.«
»Ich denke nicht, Ma’am.«
Jetzt war es genug. »Wie beliebt?«
Er deutete auf ihren Reifen. »Sehen Sie selbst.«
Kristen tat es und spürte, wie ihr übel wurde. Plattfuß. Ausgerechnet jetzt. »Verdammt.«
»Keine Sorge. Ich wechsele ihn für Sie.«
Normalerweise hätte sie abgelehnt – schließlich war sie durchaus in der Lage, selbst einen Reifen zu wechseln. Aber heute hatte sie nichts dagegen, das hilflose Weibchen zu mimen. Sie war zu
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