Deshalb liebe ich mein Singleleben (German Edition)
ein Kälbchen, das die Hebamme hielt, schief und verlassen und verloren.
Ich wusste, dass eine Wachstumsstörung unvermeidlich war. Ich weiß, dass so was wieder passieren wird. Aber ich kann mir nicht helfen zu denken, dass für alle Babys, denen ich auf die Welt helfe, für all die ersten Atemzüge, die ich hören werde, und all die Leben, die ich entstehen sehe, es nie wieder eines wie dieses geben wird. Und ganz egal, wie viele Sterne am Himmel sind und Menschen auf der Erde, keiner kann dieses eine Leben ersetzen, keiner kann seinen Platz einnehmen. Denn dieses Leben, egal wie flüchtig oder zerbrechlich, war wie kein anderes.
Aber ich nehme an, dass ist das Schöne am Leben: Manchmal ist es eben einfach nicht – schön oder da.
Minerva
Als ich durchgescrollt hatte und am Ende angekommen war, war ich so gefesselt, dass ich noch nicht mal bemerkte, wie mir die Tränen über die Wangen rollten, bis eine auf die Hand tropfte.
Ich saß sprachlos auf meinem Bett und wusste nicht, was ich als Erstes denken sollte. Als wir Kommilitoninnen an der NCLA waren (was sich lange her anfühlte, wie in einem anderen Leben, sogar wie ein Traum), erzählte mir Minerva einmal, dass sie sich nicht für Memoiren interessierte – sie fand das Genre kitschig und sagte, sie würde uns allen einen Gefallen tun. Denn sie wüsste es besser, als davon auszugehen, dass irgendetwas in ihrem Leben wichtig genug sei, um gelesen zu werden.
Ganz offensichtlich hatte sie unrecht. Viele verschiedene Emotionen überrollten mich wie Wellen, als ich ihre E-Mail ein zweites Mal las. Erst war da das Mitgefühl und die Einfachheit der Perspektive einer Vierjährigen, die Hilflosigkeit und der Schmerz, von dieser Erinnerung weggespült zu werden. Dann waren da Verlust, Horror, Trauer, Angst und schließlich die Entbehrung. Ich wollte zu ihrem Apartment fahren, ohne anzuklopfen reingehen und sie in die Arme nehmen, wie eine Mutter ihr Kind, nachdem die Welt es zum ersten Mal enttäuscht hat. Doch es war schon fast elf Uhr und selbst das hätte den hohlen Schmerz, den jede von uns empfand, auch nicht mildern können.
Ich las die E-Mail noch mal, versuchte eine Antwort zu schreiben, schaffte aber nur ein paar Sätze, bevor ich die ganze Nachricht löschte. Die Worte klangen zu banal, zu künstlich, zu geplant. Jeden Versuch löschte ich wieder und versuchte es noch mal.
Min,
ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es tut mir so, so leid. Warum hast du mir das nicht persönlich erzählt
Ich hörte kurz auf. Kein Grund, das arme Mädchen anzugreifen. Ich wusste genau, warum sie mir das vorher nicht erzählt hatte, und das war wahrscheinlich die beste Entscheidung. Ich versuchte es noch mal:
Es tut mir so, so leid. Ich kann gar nicht anfangen, mir auszumalen, wie du dich gerade fühlen musst.
Nein. Tut mir leid am Anfang, reichte nicht und ich
wusste
außerdem, wie sie sich fühlte. Total scheiße. Wie jemand, der gerade zugesehen hat, wie der Tod einen Kampf gewinnt, der niemals fair war.
Liebe Minerva,
du hast recht. Manchmal ist das Leben nicht schön und normalerweise ist es auch nicht fair. Wenn du mal überlegst, manche der schönsten und wertvollsten Dinge der Natur sind die, die so zerbrechlich sind, dass sie selten die kleinsten Veränderungen überleben: bestimmte wilde Orchideen, die Muster der Schneeflocken, Korallen, die nicht mal die sanftesten Berührungen überstehen können.
Ich wünschte, es gäbe etwas, das ich tun oder sagen könnte, damit das ein kleines bisschen besser für dich wird, für diese Familie, sogar für die Krankenschwester, aber du weißt, dass ich es nicht kann. Niemand kann das. Alles, was ich tun kann, ist, für dich da zu sein und das bin ich. (Und wohlgemerkt, das ist kein Abladen. Das ist Trauern. Und ich bin froh, dass du zu mir gekommen bist.)
Auch das hier wird vorübergehen.
In Liebe, Eva
Auf eine Wachstumsstörung konnte keine sprachgewaltige Antwort folgen, entschied ich. Hoffnungslos schloss ich meinen Laptop und ging ins Bett. Ich fühlte mich leer. An die Decke starrend, vermisste ich Scott (er musste ganz früh aufstehen, um nach Denver zu fliegen, deswegen dachte er, es sei besser, wenn er bei sich zu Hause bleiben würde), ich vermisste Jan und Dean, Olivia, meine Eltern. Ich vermisste sogar Kenny.
Am nächsten Morgen vor der Arbeit rief ich an und hinterließ eine Nachricht auf Minervas Mailbox. Sie rief ein paar Stundenspäter zurück und bestand darauf, dass es ihr gut gehe. Sie
Weitere Kostenlose Bücher