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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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allein. Mit einem wirklich schweren Buch, und einem Bild, das, wenn ich nicht gerade ein ernsthaftes Gespräch führte, wie eine Droge auf mich wirkte.
    Ob das so klug war?
    Staub wirbelte auf, als ich die erste Seite aufschlug. Ich nieste. Die verschnörkelte Schrift war nur schwer zu entziffern.
    Also dann …
     
    Eine männliche und eine wei bliche Stimme weckten mich.
    Das dicke Buch war verschwunden. Nein, nicht ganz. Es lag auf der Kommode. Daneben baute sich pépé vor seiner Frau auf, die ihn mit ihrer hageren Gestalt dennoch um eine Kopflänge überragte.
    »Du hast die Versammlung bereits einberufen. Du wol ltest, dass sie es erfährt. Ich hielt es für angebrachter, sie wenigstens vorzubereiten, als dass du sie mit vollendeten Tatsachen konfrontierst.« Mamé sprach so schnell, dass ich Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen.
    »Aber wie konntest du ihr einfach das Buch geben?«
    »Entschuldigung«, unterbrach ich die beiden. »Ich bin wach! Und bevor ihr euch die Haare ausreißt, kann ich euch sagen, dass ich ohnehin kaum etwas geschafft habe, bevor ich eingeschlafen bin.«
    Mein Großvater drehte sich zu mir um. S eine Augen waren hart wie Stein.
    Im selben Moment tauchten die Buchstaben das erste Mal vor mir auf.
     
    Seit der ersten Generation existieren auch die Eingeweihten. Eine Gruppe Wissender, die den Auserwählten oder die Auserwählte unterstützen. Sie dienen ebenso dem Schutz des Geheimnisses, des Portals und dessen, was dahinter passiert.
     
    Sie verblassten und das Gesicht meines Großvaters tauchte vor mir auf. Sein Blick bohrte sich in meinen. »Wie viel hast du gelesen?«
    »Wenige Seiten . Du bist einer von ihnen?!«, fügte ich hinzu.
    Sein ganzes Gesicht wurde zu einer Maske. Ein Bildhauer hätte es nicht besser hinkriegen können. »Wie bitte?«
    » Ich habe gelesen, dass deine Generation übersprungen wurde, keine Auserwählten. Stattdessen gehörst du zu diesen Eingeweihten, genau so wie mein Vater früher, stimmt’s?«
    Mein Großvater nickte leicht, während vereinzelte Buchst aben vor meinen Augen tänzelten; sie formten sich zu Worten und stoben wieder auseinander.
    »Die ersten Worte sind bereits in ihr«, sagte er dann mit e inem kurzen, bösen Blick zu seiner Frau. »Das Buch regt die Gabe weiter an. Alles, was du liest, wirst du verinnerlichen und niemals vergessen, weil es Bestandteil deiner Existenz ist. Es wird Zeit, dass du das erste Mal hinübergehst.«
    Etwas in seinen Augen begann zu funkeln, als er den letzten Satz au ssprach. Das Fanatische, das ich in den letzten Tagen geglaubt hatte zu sehen. Ein kurzes Aufblitzen um ihn herum, machte es nicht besser.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ihr habt gesagt, Vivianne hätte diese Gabe ebenfalls – dann werdet ihr eben einmal die Schwächere nehmen.« Ich glaubte nicht daran, dass mich dasselbe Schicksal wie meine Vorfahren erwartete. Wie sollte die Sehnsucht mich fertig machen, wenn ich sie erkennen, aber nicht erleben konnte?
    Mit Händen wie Schraubstöcken umfasste pépé meine Schulter.
    Wieder tauchten die B uchstaben vor meinen Augen auf. Auszüge aus dem Buch wie ich nun wusste:
     
    Den Auserwählten, die nicht in der Lage sind, hinüberzugehen, wird auf ewig etwas fehlen. Adriano Salvatore, oberster Wächter der Jahre des Herrn 1607- 1625, musste dabei zu sehen, wie seiner Nichte Dalila dieses Schicksal zu Teil wurde. Da sich zu dieser Zeit nur wenige Portale auf der ganzen Welt befanden, hatte sie das Pech, nicht hinübergehen zu können. Er schrieb:
    Der Drang, dem Ruf ihres Blutes zu folgen, verzehrte ihre Seele und ihren Körper. Trotz ihrer bereits früh angepriesenen Schönheit wu rde sie niemals in die Ehe geführt, denn sie interessierte sich für nichts anderes als die Sehnsüchte ihrer jungen Seele. Es ließ sich kein Mann finden, den es nicht abschreckte, sie so zu sehen. Trotz der erfolgreichen Bemühungen, sie nach einiger Zeit zu verstecken, grenzte es an ein Wunder, dass sie nie der Hexerei angeklagt wurde.
     
    Ich riss mich von ihm los und rannte hinaus durch die hohe Eingangshalle. Auf dem Weg nach draußen ließ mich das Etwas in mir zwei Mal stolpern. Ganz als würde es meinem Großvater zustimmen wollen.
    Dank Mangel an Schamgefühl konnte ich die Blicke ignorieren, die mir auf der viel befahrenen Straße begegneten. Eine Siebzeh njährige, die ungeschminkt, mit zerzausten Haaren und vor allem im seidenen Nachthemd unter der dünnen Jacke durch Paris rannte.
    Irgendwann machte ich einen

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