Desiderium
sonderbar, wenn er ‚wir’ sagte. Es e rinnerte mich daran, dass Könige früher von sich selbst im Plural sprachen. »halten es für angebracht, wenn du dir die nächsten Tage freinimmst.«
Ich trat einen Schritt von der Tür weg und verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum? In letzter Zeit sollte ich mein Potenzial jedes Mal ausschöpfen.«
Er registrierte meine Haltung mit einem Stirnrunzeln. »Es wird Zeit, dass du dich ausruhst. Dein Körper muss die Erlebnisse verarbeiten. Deshalb sehe ich dieses Wochenende auch als gute Übung , dich an ein ausgeglichenes Verhältnis zu gewöhnen.«
Mal muss ich, mal darf ich nicht. Könnt ihr euch mal entscheiden?, dachte ich. »In Ordnung. Wann genau darf ich wieder?«
Ich wusste, er achtete sehr genau auf meinen Ton und meine Wortwahl. Wenn er befürchtete, ich wäre bereits abhängig, würde er vermutlich einen Herzinfarkt erleiden. Eine verrückte Auserwählte würde schließlich im besten Fall bedeuten, auf die Schwächere zurückzugreifen. Im schlimmsten würde er bis zur nächsten Generation warten müssen – falls es eine nächste Generation geben würde.
»Frühestens Dienstag. Ich denke, das hängt davon ab, wie gut oder schlecht es dir gehen wird.«
Ich nickte leicht. »Und was schätzt du?«
Mein Großvater zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen.« Er zog einen kleinen Schlüssel aus seiner Hosentasche und verschloss die Tür zum Keller. »Damit du nicht in Versuchung kommst«, erklärte er und verschwand mit einem letzten Blick.
Nr. 5: Lege nötige Pausen ein!
Ich nutzte meine gezwungenermaßen freie Zeit zunächst, um mich um restliche Hausaufgaben zu kümmern. Ich war mir nicht sicher wann, aber in absehbarerer Zeit würde ich wieder in die Schule zurückkehren müssen, dann sollte ich wenigstens etwas vorweisen können.
Den Nachmittag verbrachte ich mit meiner kleinen Schwester; ich wusste, ich sollte es tun. Sie freute sich darüber. Wir aßen Arianas be sten Kuchen draußen im Garten, ich ließ mir von ihr ihre neuesten Kleider zeigen und abends schlichen wir uns auf den Dachboden und schauten einen Film, der mir ausnahmsweise bekannt vorkam.
Am Samstagmorgen traf ich mich mit Alice im Restaurant des Tour Montparnasse , um zu reden.
Reden war laut meiner Großmutter wichtig. Es konnte ein weiteres mögliches Ventil sein, wenn es mir nicht gut ging. Es verhi nderte, dass man den Bezug zur Wirklichkeit gänzlich verlor.
Wobei ich vermutete, dass sie dabei eher daran gedacht hatte, dass ich mit ihr reden würde. Es hatte seine Gründe, dass niemand wusste, dass ich Alice eingeweiht hatte. Wenn ich daran dachte wie wenig begeistert die Eingeweihten davon waren, dass Jaron Bescheid wusste.
Nr. 6 : Bewahre das Geheimnis innerhalb der Eingeweihten.
»Ich hab dir was mitgebracht«, plauderte Alice drauf los, kaum dass sie ihre Bestellung aufgegeben hatte.
»Wieso klingt das nicht so positiv wie es für gewöhnlich sein sollte?«, erwiderte ich und schob mir einen Löffel Rührei in den Mund.
Alice hatte sich verspätet, ich hatte bereits seit einer Viertelstunde auf sie gewartet und Hunger bekommen.
»Weil du eine verbohrte 17- jährige bist, deren Wissen über aktuelle Musik, Filme und Trends in etwa so groß wie mein Interesse an der Schule ist. Aber bei dir besteht noch Hoffnung. Also bitteschön!« Sie reichte mir ein halbes Dutzend CDs.
»Nicht dass ich mich rechtfertigen müsste, aber ich bin nicht so schlecht informiert wie du denkst. Ich weiß zum Beispiel, wer Justin Bieber ist.«
»Ja, weil deine Schwester heimlich ein Poster von ihm abknutscht«, grinste Alice. »Aber okay: Wer ist Lady Gaga?«
»Ich dachte, wir reden über aktuelle Musik und nicht über eine meiner Vorfahrinnen.«
Der Kellner kam und brachte Alice ihren Latte Macchiato, überback enen Toast, ein Spiegelei, ein mit Schokolade überzogenes Crossaint und einen kleinen Obstsalat.
Zehn von zwölf Monate im Jahr aß Alice das, was ihr gerade in den Sinn kam. Die übrigen zwei, meistens wenn es auf den Sommer zuging, hasste sie sich dafür und schwor sich, es im kommenden Jahr anders zu machen. Dann machte sie täglich so viel Sport wie möglich und aß fast so wenig wie die Austauschschülerin, die glaubte, sie könne in Paris nur leben, wenn sie in Kindergrößen passte – ein Paradebeispiel dafür, wie schlecht Vorurteile und Klischees sein konnten.
Da es schon Mai war, würde besagte Phase sicherlich nicht mehr lange auf sich warten
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