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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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genug, um auch dort ihre Vorzüge zu betonen.
    Sehnsuchtswelt’s next Topmodel ließ ihre langen Haare in schokoladenbraunen Wellen über ihre Schultern fallen. Aus der Entfernung konnte ich ihre Augenfarbe nicht erkennen, dafür aber das kleine Lächeln, als sie Jaron sah.
    Mein erster Eindruck beschäftigte sich damit, ob man auch ohne G efühle Komplexe bekommen konnte. Mein zweiter Eindruck war rückblickend noch schlimmer: Wir sahen ganz sicher nicht gleich aus, aber eine gewisse Ähnlichkeit war nicht abzustreiten. Oder bekam ich Halluzinationen?
    »Jaron. Wir haben Besuch«, bemerkte ich und ließ meinen Blick zwischen ihm und ihr hin und her wandern.
    »Lil li!« Auch seine Augen wanderten zwischen ihr und mir hin und her. Auch ihm schien die Ähnlichkeit förmlich ins Auge zu springen.
    Gerade wollte ich ihn darauf ansprechen, da passierte etwas Merkwürdiges: Das Leuchten seiner Augen ließ nach, die Farbe wurde blasser.
    »Wer?«, frage ich, wie immer ohne Feingefühl, obwohl ich mich daran erinnerte, wie er mit Darragh über sie geredet hatte.
    Jaron winkte das Mädchen zu sich, das bewies, dass sie mit ihren langen Beinen umgehen konnte. Ein zufriedener, ausgeglichener Ausdruck trat auf sein Gesicht, als sie neben ihm stand.
    »Cassim, das ist meine Freundin Lillian. Lilli, das ist Cassim, eine Freundin von Darragh.«
    Offensichtlich hatte Jaron sie nicht darüber aufgeklärt, was er in den letzten Wochen erfahren hatte. »Freut mich«, murmelte ich.
    Lillian erwiderte nichts.
    Jaron widmete seine Aufmerksamkeit vollkommen ihr. Er griff sich eine ihrer dunklen Haarsträhnen und wickelte sie um einen Finger. »Ich soll ihr bei ein paar Kleinigkeiten helfen. Sie trainieren.« Dieser süßlich unterworfene, umgarnende Unterton passte nicht zu ihm.
    Um zu verhindern, dass ich mich deshalb übergeben musste, zog ich mich zurück und wiederholte ein paar der Übungen, die ich zuvor mit Jaron durchgegangen war.
    Es dauerte zwar nicht lange, bis Jaron sich darauf besann, weshalb er hier war, aber Lillian verließ uns nicht. Sie wirkte weder eifersüchtig noch unfreundlich, aber ihre Art hatte etwas Unnahbares, das sich nur in Jarons Gegenwart auflöste.
    Was für ein Traumpaar!
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte nichts dagegen gesprochen, dass sie vorbei gekommen war. Dass Jaron nun offensichtlich seiner Verbindung erlag, hatte nichts schlechtes, so lange er unser Training nicht vernachlässigte – viel mehr war ich überzeugt davon, dass es ihm bei seinem Ego sicherlich gut tat.
    Im Laufe des Nachmittags jedoch wurde Jaron mir gegenüber kalt. Kälter als in den ersten Tagen.
    Aus der Entfernung kommandie rte er mich herum, gab mir mit barscher Stimme Tipps. Und blickte immer wieder bemüht heimlich zu seiner Freundin. Er setzte alles daran, Lillian gegenüber deutlich zu machen, dass es nichts zwischen uns gab außer diesem Training – weder seine persönlichen Hilfen, noch die Ereignisse, sobald wir uns näher waren als einen halben Meter.
    Um sein Verhalten mit Alice’ Worten zusammenzufassen: Wenn sie da war, wurde Jaron ein richtiges Arschloch.

8. Trügerische Freizeit
     
     
    Zwei Wochen nachdem Lillian uns das erste Mal beim Training besucht hatte, hatte ich weitere Fortschritte gemacht. So konnte ich nun über zwei Stunden in der Welt der Sehnsüchte verbringen, nach dem Training hatte ich keinen Muskelkater mehr und mittlerweile hatten Jaron, gelegentlich Darragh und ich die Bibliothek noch einmal und dazu noch ein altes Archiv der Eingeweihten durchsucht.
    Das alles führte zu dem seltenen Fall, dass mein Großvater, die Eing eweihten der Sehnsuchtswelt und Jaron sich in etwas einig waren:
    Am Freitagmorgen, als ich gerade auf den Weg in den Keller war, fing mein Großvater mich ab.
    »Was gibt’s?«, fragte ich ihn, die Hand bereits am Türknauf. »Soll ich den Sehnsüchten noch etwas ausrichten?«
    Pépé , an diesem Tag in einen marineblauen Stoffpullover gekleidet, unter dem ein weißes Hemd hervorblitzte, schüttelte den Kopf. »Du wirst diese Welt heute nicht verlassen.«
    »Warum das nicht?« Mit schief gelegtem Kopf sah ich ihn an. Wenn ich wie an diesem Tag keine Schuhe mit Absatz trug, waren wir auf Augenhöhe. Ich wusste, ich klang ruhig und emotionslos wie immer, aber bei dem Gedanken, nicht hinüberzugehen, zog sich etwas in mir zusammen.
    Vor der Macht der Gewohnheit konnte nicht einmal ich mich retten, erst recht nicht, wenn es um Sehnsucht ging.
    »Wir …« Es klang noch immer

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