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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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den rötlichen Fluss, und das, was sich hinter ihm befand. Das Ziehen in meiner Brust wurde deutlicher. Obwohl dieser Teil der Landschaft noch von meiner Tante beeinflusst war, wurde mir abermals bewusst, wie viel Sehnsucht ich bei einem einzigen Blick empfand.
    Jaron, mit dem Rücken am Geländer, stand noch immer neben mir und riss mich von diesem Anblick los: »Was ist daran Mist?«, wol lte er wissen.
    Ich zog eine Augenbraue hoch ; ich wusste, er konnte es sehen. »Weil du sagst, dass meine Arroganz Schuld daran sei, dass ich keinen Freund habe. Was zum einen aus bekannten Gründen das Dämlichste ist, was ich seit langem gehört hab. Darüber hinaus bist du der beste Beweis für das Gegenteil:  Du kannst selber ziemlich arrogant sein. Aber du hast eine Freundin – daran kann es also nicht liegen.«
    Jaron reagierte nicht.
    »Erzähl mir von ihr!«, forderte ich.
    Er sah mich s ehr lange und durchdringend an. War eigentlich heute alles, was ich sagte, falsch? »Das habe ich schon.«
    »Nein , nicht so. Erzähl mir, wie sie ist. Du hast gesagt, dass ich verstehen soll. Aber wie kann ich verstehen, dass sie es schafft, dich in ihren Bann zu ziehen, wenn ich sie nicht kenne?« In einen Bann, der nicht nur auf natürliche Weise besteht . »Ich sehe sie nur und habe nie ein Wort mit ihr geredet.«
    Jaron protestierte: »Sie zieht mich nicht in ihren Bann.«
    »’Groß, lange kastanienbraune Haare, violette Augen; ohne dass sie darauf Wert legte, war sie perfekt in Szene gesetzt’. Werden dir die Knie weich, wenn du sie siehst? Jedes Mal, wenn sie beim Training zugeguckt hat, hast du ihr förmlich die Füße geküsst. Ich frage mich, ob du weißt, warum das so ist? Erzähl mir, wie sie ist – bitte.«
    Jaron brauchte seine Zeit, bis sein Ego mit meiner Analyse klarkam. »Das ist deine Sicht der Dinge«, murmelte er kaum verständlich.
    Dieses Mal zuckte keiner zurück, als seine Hand meine berührte. Auch wenn die Symptome dieselben waren wie immer. Nach ein paar Sekunden ließ der Schmerz nach, auch wenn das Prickeln anhielt. Mein Blut summte leise. Vermutlich hätte ich meine Hand wegziehen sollen, aber ich tat es nicht.
    »Was denkst du denn, wie sie ist?«, fragte er. Ob er sie sich, nun da er an sie dachte, herbeisehnte? Konnten Sehnsüchte überhaupt echte Sehnsucht empfinden?
    »Sie ist hübsch, denke ich. « Toll! Was Besseres fiel mir auch nicht ein! »Und sie scheint freundlich zu sein.« Gleichzeitig hat sie etwas Unnahbares an sich. Es ist merkwürdig, wenn sie in der Nähe ist. Und man kann nur immer wieder betonen, dass ihr aufeinander fixiert seid . Ganz ungesund fixiert. »Wenn man sie sieht, wirkt sie so … perfekt.«
    Ich wandte mich ihm zu, als ich ihn schmunzeln hörte. Dabei ließ er keine Sekunde lang meine Hand los. Vermutlich unbewusst strich sein Daumen über meine Haut. Gänsehaut überkam mich.
    »Ja, wahrscheinlich würden das alle Menschen sagen.« Jarons freie Hand berührte meinen anderen Arm. Die Elektrizität nahm zu. »Lillian ist perfekt, das würde es am ehesten treffen. Sie ist selbstbewusst und mutig, kennt aber ihre Grenzen. Sie kämpft für das, was sie will, hat aber auch eine weiche Seite. Ihre gute Laune ist jedes Mal ansteckend, sie … Sie ist perfekt ohne jegliche Ecken und Kanten.« Der Lobgesang, der Unterton, den jeder Verliebte zu haben schien, war etwas Bitterem gewichen.
    Seine Finger verharrten an me inen Oberarmen, streiften dabei gleichzeitig sanft meine Taille. Als sein Atem die kühle Haut meines Gesichts traf, schauderte ich. Ein Stechen breitete sich in meiner Brust aus; es war unangenehm, schien mir die Luft kurzzeitig abzuschnüren, aber noch immer wies ich ihn nicht ab. Das war total verrückt.
    »Jaron«, hauchte ich. Kleine helle Punkte tauchten vor meinen Augen auf. Konzentration, Cassim! »Warum kannst du mich berühren – ohne Schmerzen?«
    »Das kann ich nicht«, murmelte er abwesend, den Kopf schief gelegt. »Es geht mir noch immer durch und durch. Genau wie dir …« Leicht schüttelte er den Kopf. »Weißt du, Perfektion ist manchmal zu viel…« Seine Hand wanderte zu meinem Gesicht. Sanft streichelte er meine Wange. »Es kann auch interessanteres geben – für mich …«
    Im ersten Moment war ich überrumpelt von seinen Lippen auf meinen und von der Hand, die sich in mein Haar schob.

13. Lillian
     
     
    Ich stützte mich auf dem Geländer ab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ich spürte den kalten Stein gegen meine Wirbelsäule

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